Cornelius-Stiftung

September 2017 / Seite 2 von 3

„MIKADO/StandUp soll ein Ort sein, an dem es möglich ist, auf eine altersangemessene Weise das zu thematisieren, was man zu Hause erlebt, und einen Umgang damit zu finden. Denn so eine Situation kann man ja erst einmal nicht kurzfristig verändern.“ -Norbert Teutenberg

Neben MIKADO/StandUp unterstützt die Cornelius-Stiftung in Köln noch zwei weitere Projekte mit ähnlicher Ausrichtung. Die Stiftung selbst wurde 2001 von der Familie Zimmer und der Corpus Sireo Immobiliengruppe ins Leben gerufen, um sich neben anderen kleinteiligeren Projekten für ein Feld zu engagieren, das unter mangelnder Beachtung leidet. Die Hintergründe sind auch privater Natur. Wie viele Familien, hat auch Familie Zimmer Erfahrungen mit suchtkranken Familienmitgliedern sammeln müssen. „Wir hatten schon früh über eine Stiftung nachgedacht, als bei der eigenen Recherche nachweisbar geworden war, dass nur fünf Prozent aller Suchtberatungsstellen ab und an ein Angebot für die mitleidenden Kinder hatten. Dabei muss man hier generell früh ansetzen, damit sich diese Probleme nicht verlagern oder fortsetzen. Ich wünsche mir, dass die Notwendigkeit, hier zu helfen, noch deutlicher wird, vor allem in der Öffentlichkeit. Und ich wünsche mir, dass es hier von Bundes- und Landesseite zu Regelfinanzierungen kommt, damit solche Projekte nicht nur dann funktionieren, wenn Stiftungen mit einspringen. Das gilt insbesondere für Einrichtungen, die schon seit Jahren bestehen und damit schon nicht mehr bloß Projekte sind“, sagt Karen Zimmer. Zuversichtlich stimmt sie der aktuelle Drogenbericht der Bundesregierung, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, auch die Kinder aus suchtbelasteten Familien aus dem Schatten und ins Bewusstsein zu holen. Und noch zuversichtlicher macht sie die Arbeit des Cornelius-Hauses, das mit Unterstützung der Stiftung ein weiteres Pilotprojekt betreibt: eine Clearing-Wohnen-Einrichtung für suchtkranke Schwangere und Mütter.

Das Cornelius-Haus liegt in der Kölner Innenstadt im langen Schatten des Doms und reiht sich mit seiner zweckmäßigen Fassade in die eher schmucklosen Häuserfronten der autogerecht zerschneisten Stadt ein. Früher fand am nahegelegenen Hauptbahnhof noch Straßenprostitution statt, weshalb der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) „schon einen Fuß in der Tür hatte“, wie sich die Sozialarbeiterin Monika Denizer ausdrückt. Der 1899 gegründete SkF engagierte sich schon immer in der Obdachlosen-, Drogen-, Straffälligen- und Prostituiertenhilfe. Denizer leitet die Abteilung Sucht und Psychische Erkrankungen beim SkF, der in Köln mit 47 Einrichtungen vor Ort ist und unter anderem Mutter-Kind-Einrichtungen, Kindertageseinrichtungen, Einrichtungen der Suchthilfe, betreute Wohnangebote für psychisch erkrankte und suchterkrankte Frauen und ambulante Familienhilfe anbietet. Im Hochparterre des Hauses betreibt er außerdem das Café MäcUp, eine Anlauf-, Kontakt- und Beratungsstelle für weibliche Obdachlose, ehemalige Obdachlose und Klientinnen der Prostituiertenhilfe, die hier frühstücken, duschen, Wäsche waschen oder sich Hilfe etwa bei Ämtergängen besorgen können. Seit 2005 beherbergt das Haus außerdem vier Apartments für Schwangere und Mütter, die dem so genannten Clearing-Wohnen gewidmet sind, einem neuartigen und ehrgeizigen Projekt, das in einem Verbund mit vielen weiteren Einrichtungen des SkF durchgeführt wird, um möglichst vielfältige Kompetenzen einbringen zu können. „Das Clearing-Wohnen für suchtkranke Schwangere und Mütter dient der Abklärung der Erziehungsfähigkeit und der weiteren Perspektiven von Mutter und Kind“, erklärt Diplom-Psychologin Ilka Reinert, ein wichtiges Mitglied des vielköpfigen multiprofessionellen Teams. „Eine Perspektive muss dabei nicht zwangsläufig das Zusammenleben sein, sondern könnte auch eine Trennung bedeuten. Wir blicken hier gemeinsam mit der Mutter auf die Perspektiven, die Ressourcen und die Defizite. Wir möchten abklären: Wird die Mutter ihr Kind verantwortungsvoll aufziehen können oder sich für das Leben mit Drogen und im Milieu entscheiden? Ganz allgemein versuchen wir die Frauen dahingehend fit zu machen, dass sie ihre Entscheidungen und deren Konsequenzen richtig einschätzen können. Das bedeutet teilweise auch sehr konfrontative Reflektionsgespräche, denn viele Frauen möchten diese Entscheidungen aufschieben. Diese Zeit hat ein Kind aber nicht. Kinder entwickeln sich schnell und brauchen präsente Mütter, die Bindungen anbieten.“

„Nur fünf Prozent aller Suchtberatungsstellen haben ein Angebot für die mitleidenden Kinder.“ -Karen Zimmer

Eine Kinderkrankenschwester, drei Sozialarbeiterinnen, eine Psychologin und mehrere Erzieherinnen stehen dem Clearing-Wohnprojekt dabei zur Verfügung – im Auftrag des Jugendamts und jeweils eng verknüpft mit weiteren Fachkräften im medizinischen und sozialen Bereich. „Es gibt natürlich auch klassische Therapie-Einrichtungen, aber dieses Wohnprojekt ist in dieser Form einzigartig“, erklärt Monika Denizer. „Es war auch eine große Herausforderung für das Jugendamt Köln, dieses Risiko einzugehen, denn bis vor einigen Jahren war die schnelle Herausnahme eines Kindes bei einer Suchterkrankung der Mutter die Regel. Wir dagegen nehmen auch akut süchtige, konsumierende Frauen hier auf, die wir dann auf dem Weg zur Substitution begleiten.“ Offenbar wird das Angebot angenommen. 376 Anfragen gab es in den letzten Jahren, und 86 Frauen, die hier gelebt haben – darunter lediglich zwei sogenannte Selbstmelderinnen. Der Rest war bereits in Sucht- oder Prostitutionshilfe verankert oder wurde etwa durch Kinderärzte oder das Jugendamt vermittelt. „Viele sind hier auch nicht mit ihrem ersten Kind, sondern mit dem zweiten oder dem dritten“, sagt Ilka Reinert, was auch die Scheu erklärt, mit der viele Frauen dem Projekt zunächst begegnen. „Die meisten machen einen Riesenbogen um das Jugendamt, auch weil sie zum Teil selber aus Familien kommen, die schon mehrgenerational durch das Jugendamt versorgt worden sind. Oder, weil es bereits zu Kindsentnahmen kam.“ Neben der Angst kann sich über die bevorstehende Schwangerschaft aber auch neue Motivation einstellen, weiß die Psychologin. „Eine Schwangerschaft ist immer ein lebensumstülpendes Element, aber gerade für süchtige Frauen verbindet sich damit oft die Verheißung einer Wende und eines komplett anderen Lebens“, sagt sie. „Dieses Fensterchen, dass sich dann öffnet, das wollen wir nutzen. Clearing bedeutet, dass sie sich hier mit allem, was sie haben, einbringen. Mit ihren Schwächen, aber auch mit ihrem Begehren, mit dem, was sie wirklich wollen. Es soll ein geschützter Raum sein, in dem sich informierte Entscheidungen treffen lassen, abseits der gewohnten Situationen.“

Am Ende der Entscheidung kann selbstverständlich nicht immer die gemeinsame Zukunft stehen, sondern oft auch die bewusste Trennung. „Es gibt Frauen, die merken, dass sie die Hürden nicht schaffen, um in angemessene Bindung mit ihrem Kind zu kommen, und die ihr Kind dann abgeben“, berichtet Reinert. „Das glaubt man oft nicht, aber auch diese Mütter bedanken sich hinterher dafür, dass sie hier einen Ort hatten, wo sie sich diese Entscheidung zumindest gut überlegen und das Kind dann in verantwortungsvolle Hände geben konnten. Wenn man den Müttern nämlich nicht die Perspektive des Kindes näherbringt und das, was es braucht, sind diese Trennungen hochtraumatisch und traumatisierend. Hier dagegen merken die Frauen, dass unsere Hilfe nicht nur Kontrolle und Konfrontation bedeutet, sondern tatkräftige Unterstützung. Wir sorgen auch dafür, dass sie die Pflegeeltern in der Regel mit aussuchen und anschließend mit dem Kind in Kontakt bleiben können. Das macht einen großen Unterschied, denn so fühlen sich die Mütter als bestimmender Teil, was die Zukunft des Kindes angeht. Sie werden damit in eine aktive Rolle gebracht, in der sie für ihre Entscheidung geachtet werden. Das ist eine ganz andere Ausgangsposition, eine ganz andere Form von Autonomie.“

„Erfolg sieht für mich so aus, dass mit einer Frau und einem Kind so gut gearbeitet wurde, dass die Frau die Hilfe annehmen konnte und für sich eine verantwortliche Entscheidung treffen konnte.“ -Ilka Reinert

In der Praxis sieht das Clearing Wohnen folgendermaßen aus: Die Schwangeren und Mütter (mit Kindern bis zum 6. Lebensjahr) erscheinen zu zwei Vorstellungsgesprächen, die anschließend in einer ausführlichen Suchtanamnese münden. Ziel ist eine größtmögliche Transparenz, um auch Komorbiditäten wie psychische und andere Erkrankungen feststellen zu können. Der Gesundheit des Kindes nehmen sich die Mitarbeiter ebenfalls an, vermitteln Ärzte, Frühförderzentren, Kita-Plätze und Mutter-Kind-Gruppen. Das Clearing-Wohnprojekt ist gut mit dem übrigen Hilfssystem vernetzt, um hier nicht die einzige Säule zu bleiben. Das schließt die Integration der Kindsväter sowie der Partner und Bezugspersonen ein. „Man kann mütterliche Verantwortung und Erziehungskompetenz trainieren“, sagt Reinert. „Väterliche übrigens auch.“

Mittels einer großflächigen Plakatkampagne wird die Telefonnummer kommuniziert, unter der sich betroffene Kinder melden können.

Zentraler Punkt des Angebots ist auch die Entgiftung, mit Suchttherapie und anschließender Abstinenz. In enger Zusammenarbeit mit Fachkräften und unter ärztlicher Aufsicht werden bei praktisch allen Klientinnen Drogen-Substitutionen vorgenommen, was vor allem während der Schwangerschaft ein hochkomplexes Unterfangen ist. „Eine Voraussetzung dabei ist natürlich, Abstand von dem alten Leben und dem Drogenmilieu zu nehmen, um den Schritt in die normale, von uns geteilte gesellschaftliche Sphäre zu machen“, sagt Ilka Reinert, die hier eine große Klippe auf dem Kurs der Frauen erkennt. „Die Liebe kann noch so groß sein, es muss letztendlich auch das Vermögen vorhanden sein, auf die Bedürfnisse des Kindes angemessen einzugehen. Neben dem Wunsch, diese neue Herausforderung zu meistern, muss sich die Frau auch mit ihren Möglichkeiten auseinandersetzen, das einzulösen.“ Reinert findet, dass ihre Arbeit trotz aller Härten einen spürbaren Unterschied macht – bei den Klientinnen und nicht zuletzt bei sich selbst. „Mir gibt es sehr viel, wenn Frauen hier zu sich finden“, sagt sie. „Egal mit welchem Ergebnis. Denn ein Erfolg sieht für mich so aus, dass mit einer Frau und einem Kind so gut gearbeitet wurde, dass die Frau die Hilfe annehmen und für sich eine verantwortliche Entscheidung treffen konnte. Dass sie hier selbstbestimmter rausgeht als sie reingekommen ist.“

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