Cornelia Schleime

Cornelia Schleime

„Oft kann ich das Geplapper der Gesellschaft nicht aushalten.“

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  • Lena Giovanazzi
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Zur Person

12.07.2017, Ruppiner Land, Brandenburg. Es gießt wie aus Eimern, dabei hatten wir uns schon auf den Garten der Berliner Künstlerin Cornelia Schleime gefreut. Wir besuchen sie irgendwo im Nirgendwo in den Tiefen Brandenburgs, kommen aber zu spät, weil wir hinter einem Konvoi aus Treckern herjuckeln mussten. Cornelia Schleime trägt es mit Fassung, dabei steht sie unter Druck, gilt es doch die letzten Bilder für die kommende Ausstellung fertigzumalen. Fröhlich begrüßt uns die Künstlerin in ihrem Atelier, welches einer Wunderkammer gleicht. In der Küche hängt eine Schaukel, der Pfirsichtee, serviert im selbstbemalten Service, wärmt. Zu Beginn des Gesprächs rutscht eine Tasse vom Tisch. Cornelia Schleime lacht, sammelt die Scherben auf, die sie zu kleben gedenkt. Es sei bereits die zweite Tasse, die heute zu Bruch gegangen ist. Wenn das mal kein gutes Omen ist.

Frau Schleime, Sie stammen aus der DDR. Wie sind Sie dort aufgewachsen?

Meine Mutter war katholisch, mein Vater hatte als Widerstandskämpfer im KZ gesessen und war anschließend traumatisiert. Er war zuvor schon verheiratet gewesen, weshalb meine Eltern nur standesamtlich und nicht nach katholischem Recht heiraten durften. Auf Betreiben der Großeltern mütterlicherseits wurde ich dafür streng katholisch erzogen, was für die DDR ungewöhnlich war. Ich hatte immer wunde Knie vom Knien in der Gebetsbank. Bereits als Kind hatte ich eine tiefe Stimme, das kommt also nicht nur vom Rauchen. Im Gottesdienst sangen damals alle mit diesen fürchterlich hohen Stimmen, als wollten die damit das Kirchendach abheben. Es war schlimm für mich, ich kam nicht in diese höheren Stimmlagen. Einfach grauenvoll! Das einzige Wahrhaftige, wenn der Gottesdienst dann endlich vorbei war, war mein Gebet: „Lieber Gott, ich danke dir, dass die Messe vorbei ist und ich es überstanden habe!“ Samstags musste ich dann immer zur Beichte gehen.

Später haben Sie nie mehr brav gemacht, was von Ihnen verlangt wurde. Sie wurden in der DDR gar mit einem Berufsverbot belegt. Woher kommt Ihr rebellischer Charakter?

Interessanterweise hatte mein Vater auch einen sehr starken Charakter. Er war nicht angepasst, meine Mutter natürlich auch nicht, als Familie waren wir eher westlich orientiert. Mein Vater kam ursprünglich aus dem Rheinland, meine Mutter aus Danzig. Mein Vater war natürlich nicht in der Partei, er hatte etwas Pazifistisches an sich, er hatte seinen eigenen Kopf. Davon habe ich ganz schön was mitbekommen – weshalb es meine Mutter oft schwer mit uns hatte. Sie betrachtete sich selbst als Vermittlerin zwischen Vater und Tochter. Ich war früher ein sehr unruhiges Kind, gleichzeitig sehr verspielt. Ich hatte keine Geschwister, weshalb ich mich oft in mein Kinderzimmer zurückzog und dort meine eigenen Welten entstehen ließ. Manchmal habe ich Kinderärztin gespielt, ich hatte an die 15 Teddys, denen habe ich die Bäuche aufgeschnitten. Alles, was ich nicht aufessen wollte, habe ich dann in die Teddy-Bäuche reingestopft und diese wieder zugenäht. Bis es dann irgendwann im Kinderzimmer fürchterlich gestunken hat. Und meine Eltern dann untersuchten, wo dieser Geruch herkam. (lacht) Als ich älter wurde, habe ich viel gezeichnet. Geschrieben habe ich auch schon immer, am liebsten kleine Geschichten. Als Einzelkind habe ich mir immer meine eigenen Freunde gesucht. Später war ich dann glücklich damit, alleine zu sein. Viele Menschen können das nicht aushalten, aber für mich ist das Alleinsein eine Notwendigkeit, um überhaupt kreativ sein zu können. Oftmals kann ich das Geplapper in der Gesellschaft nicht aushalten.

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