Christiane Hoffmann

Christiane Hoffmann

„Flucht ist Menschheitsschicksal und war es immer schon.“

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  • Valerie Schmidt
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27. Januar 2022, Berlin. Christiane Hoffmann kommt nach einem langen Arbeitstag mit bemerkenswerter Energie und Frische ins Café Einstein. Erst vor Kurzem hat die langjährige Journalistin ihre neue Stelle als stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung angetreten. Der Fokus des Gesprächs, das wir am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus führen, soll allerdings nicht auf der Mühsal politischer Kommunikation liegen, sondern auf Hoffmanns Familiengeschichte. Zu Fuß und allein hat sie vor zwei Jahren die Fluchtroute ihres Vaters aus Schlesien im Winter 1945 nachvollzogen. Eine in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliche Unternehmung, aus der ihr Buch „Alles, was wir nicht erinnern“ entstanden ist.

Christiane Hoffmann, während wir hier sitzen, sind weltweit ungefähr so viele Menschen auf der Flucht, wie Deutschland Einwohner hat. Warum scheint uns das so wenig zu betreffen?

Die Einschätzung teile ich gar nicht. Gerade durch die Menschen, die 2015 nach Deutschland gekommen sind, ist das Thema doch sehr nahe an uns herangerückt. Auch über die Geflüchteten an der polnisch-belarussischen Grenze wurde viel berichtet und diskutiert. Die Themen Migration und Flucht scheinen mir viel präsenter zu sein als noch in den 1970er, 1980er Jahren.

Aber die Diskussion fokussiert oft auf sogenannte Obergrenzen für die Aufnahme von Geflüchteten oder auf Proteste, die sich gegen sie richten.

Auch das würde ich so allgemein nicht unterschreiben. Die deutsche Gesellschaft scheint mir eher gespalten. Es gibt viele Menschen mit einer sehr großen Aufnahmebereitschaft, was ich schon in meinem unmittelbaren Umfeld erlebe. Sowohl meine Mutter als auch mein Mann arbeiten ehrenamtlich mit Geflüchteten. Aber es gibt auch die Angst, dass Zuwanderung den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gefährdet, und rechte Kräfte, die diese Angst nutzen – das haben die Erfolge der AfD bewiesen. Aber man sollte den Teil der Gesellschaft, der sehr viel Empathie und Einsatz zeigt, nicht ausblenden. Zumindest vereinzelt gab es in der Diskussion um 2015 auch Stimmen, die Parallelen zum Jahr 1945 gezogen und daran erinnert haben, dass auch viele deutsche Familien auf eine Fluchtgeschichte zurückblicken.

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