Charles Lewinsky

Charles Lewinsky

„Innerhalb eines Buches kann man alles sein.“

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  • Maurice Haas/Diogenes
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Zur Person

03. März 2021, Zürich. Wenn Charles Lewinsky aus dem Fenster schaut, sieht er eine Reihe von Straßenbäumen, die sich so langsam auf den Frühling einstellen. Die Jahreszeit der Vorfreude passt, denn der Schriftsteller nähert sich seinem 75. Geburtstag. Statt mit einer Mittelmeerkreuzfahrt oder mit einem Potenzporsche beschenkt sich Lewinsky mit einem neuen Buch, an dem sich auch seine Fans erfreuen dürften. „Sind Sie das?“ ist eine unterhaltsame Reise durch sein literarisches Schaffen, bei dem man auch zwischen den Zeilen eines Lebens liest. Wenn dieses Leben ein provisorisches Fazit haben sollte, dann dieses: „Das Wichtigste ist, Pläne zu haben.“

Charles Lewinsky, die Idee, den Autor in seinen Figuren sehen zu wollen – woher kommt die?

Ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich bin der Meinung, man sollte Bücher pur lesen können. Ohne die Hypothese, dass man etwas über den Autor weiß und automatisch aus dieser Kenntnis heraus auf das Buch schließt. Ist Gretchen im „Faust“ anders zu lesen, wenn man weiß, dass Goethe als Staatsbeamter die Hinrichtung einer Kindsmörderin befürwortet hat? Ändert das etwas? Macht es das Buch besser oder schlechter? Mir wäre es lieber, ich wüsste es nicht. Es gibt Autoren, über die man relativ wenig weiß, wie beispielsweise über mein momentanes literarisches Idol Hilary Mantel. Was weiß man über diese Frau? Sehr wenig. Sie ist eine nicht mehr allzu junge Dame, die dicke Bücher schreibt. Der Autor ist in seinen Büchern ohnehin vorhanden, er muss sich da nicht noch extra in den Vordergrund stellen.

In „Sind Sie das?“ bringen Sie es so auf den Punkt: Agatha Christie war keine Mörderin.

Natürlich nicht. Agatha Christie hat etliche Bücher über den Nahen Osten geschrieben, was mit dem Beruf ihres Mannes zu tun hatte. Mit Ausgrabungen kannte sie sich aus, deswegen hat sie über Ausgrabungen geschrieben. Man muss das unterscheiden: Einerseits gibt es das, was der Autor gut kennt und über das er deshalb gerne schreibt. Ich habe vor 15 Jahren einen großen jüdischen Familienroman geschrieben, weil ich jüdische Familien gut kenne. Wenn ich versucht hätte, einen großen Roman über eine balinesische Familie zu schreiben, wäre das nichts geworden, da hätte ich mich so viel vorbereiten können, wie ich wollte. Man schreibt über das, was einem vertraut ist – das ist der bewusste Teil. Es gibt aber auch noch den unbewussten Teil, und der hat mich für mein neues Buch interessiert. Was rutscht einem beim Schreiben aus der eigenen Biografie rein, ohne dass man es merkt?

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