Bodo Kirchhoff
„Der eigene Abgrund ist eine Geschichte, die erzählt werden will.“
Zur Person
Bodo Kirchhoff (geboren am 6. Juli 1948 in Hamburg) zog 1955 mit seinen Eltern in den Schwarzwald und besuchte nach der Scheidung seiner Eltern ab 1959 ein christliches Internat am Bodensee, wo er von einem Kantor sexuell missbraucht wurde. 1968 machte er das Abitur und leistete danach seinen Wehrdienst bei der Bundeswehr ab. 1971 begann er ein Studium der Heilpädagogik in Frankfurt am Main, das er 1978 mit einer Doktorarbeit über Jaques Lacan und den Begriff des Widerstands abschloss. 1979 veröffentlichte er seine erste Erzählung im Suhrkamp-Verlag. Kirchhoff ist seit 1987 mit Ulrike Bauer verheiratet, die beiden haben zwei erwachsene Kinder und geben in ihrem Haus am Gardasee Schreibseminare. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2008 die Carl Zuckmayer-Medaille für Verdienste um die deutsche Sprache und 2016 den Deutschen Buchpreis. Kirchhoff lebt in Frankfurt am Main und am Gardasee.
7. Juni 2018, Frankfurt. Bodo Kirchhoff wirkt wie ein hochgeachteter und einschüchternder Professor, den man für das Interview unsinnigerweise von seiner Arbeit abhält. Mit einer Mischung aus Strenge und latenter Genervtheit ob der Störung beginnt das Gespräch. Es geht um den Sinn des Schreibens, den Unsinn der Einmischung in öffentliche Debatten. Um Romane und Ratgeberbücher, die Liebe und Banalität. Der Schriftsteller beantwortet die Fragen mit einer Ernsthaftigkeit, die ihresgleichen sucht. Am liebsten würde er eh nur seine Bücher sprechen lassen. Dennoch spürt man im Laufe des Ge-sprächs: Ein wenig Freude macht ihm das Reden schon.
Herr Kirchhoff, was würden Sie machen, wenn Ihnen die Ideen und Worte ausgehen?
Diese Überlegung hatte ich nie, weil ich nie in dieser Lage war, dass mir nichts mehr einfällt. Bei mir ist eher das Problem, aus allem, was mir einfällt, eine Auswahl zu treffen und das Gefühl zu bekommen, dass es sich lohnt, ein, zwei, drei oder vier Jahre Arbeit hineinzustecken. Bei mir gab es nie eine Schreibblockade. Ich habe höchstens die Blockade, an den Sinn des Ganzen zu glauben, eine Sinnblockade. Ich habe immer wieder solche Krisen, in dem wiederkehrenden Gedanken: Wozu überhaupt schreiben? Das gibt es schon und das blockiert auch in gewisser Weise, aber es ist nicht so, dass es keine Einfälle oder Wünsche gäbe, was ich gern schreiben würde.
Ja, wozu überhaupt schreiben?
Natürlich um meine Tage zu füllen. Und ich schreibe in der Tendenz die Bücher, die ich selbst gern lesen würde, die ich vermisse. Aber der Sinn des Ganzen ist für mich, sich schreibend zu verändern. Meine ersten Bücher sind ganz andere als die, die ich heute schreibe. Ich habe mich über das Schreiben verändert, bin heute in der Lage, auf andere zuzugehen oder mit anderen Menschen etwas zu machen. Ich biete zusammen mit meiner Frau seit 16 Jahren Schreibseminare am Gardasee an – und auch diese Seminare sind ein Ergebnis meines Schreibens. Nicht ein Ergebnis des Erfolgs, sondern das Ergebnis meiner Auseinandersetzung mit mir selbst und mit der Welt: Ich bin zu solchen Begegnungen nun eher in der Lage als früher.