Bernd Senf
„Der sogenannte Mainstream ist mit seinen Weisheiten am Ende.“
Zur Person
Bernd Senf, geboren 1944, ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre. Von 1973-2009 lehrte er an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Er befasst sich intensiv mit den Lehren von Wilhelm Reich und Silvio Gesell, darauf begründet er seine Idee einer lebendigen Wirtschaftsordnung. Insbesondere das bestehende Zinssystem hinterfragt er kritisch. Exponentielles Geldwachstum erzeugt exponentielles Schuldenwachstum und damit einen Wachstumszwang. Das ist nur so lange möglich, wie das Sozialprodukt mit der Rate des Kreditzinses mitwachsen kann. Die aktuellen Krisensymptome auf vielen Ebenen zeigen, dass wir an der Grenze des quantitativen Wachstums längst angekommen sind. Senf hat mehrere Bücher veröffentlicht, unter anderem „Der Nebel um das Geld“, „Die blinden Flecken der Ökonomie“, „Der Tanz um den Gewinn“ und „Die Wiederentdeckung des Lebendigen“.
13.05.2014, Berlin-Spandau. Der Wirtschafts-Querdenker Bernd Senf holt uns am Bahnhof ab – offen, unkompliziert, entspannt. Kurz darauf sitzen wir bei ihm im Wohnzimmer mit Blick auf die Havel. Der emeritierte Professor für Volkswirtschaftslehre legt den Schwerpunkt seiner Arbeit auf die verständliche Vermittlung von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhängen. En passant klärt er eine ganze Reihe von historisch bedeutsamen Zusammenhängen und problematischen Grundmustern, die sich ebenso in unser Gemeinwohl wie in die Psyche des einzelnen geschlichen haben.
Professor Senf, gleich zu Beginn die entscheidende Frage: Warum ist Selbstorganisation wichtig?
Berd Senf: Weil sie die Grundlage lebendiger Prozesse ist, im Menschen, in der Natur, sogar im Kosmos. Auch die Erde ist ein lebendiger Organismus. Wenn man das mechanistische Weltbild erweitert, dann ergibt sich immer deutlicher, dass Selbstorganisation ein universelles Prinzip ist. Das Lebendige bewegt sich aus sich heraus, ohne äußeren Anstoß oder Antrieb. Das ist das Wesensmerkmal dieses universellen Prinzips.
Würden Sie Selbstorganisation mit Kreativität gleichsetzen?
Kreativität ist eine Erscheinungsform dieses Prinzips. Das Lebendige will sich äußern und der bewegende Antrieb kommt von innen. Früher habe ich gesagt: Das Lebendige verschafft sich Ausdruck. Aber das ist ein verkehrter Begriff, denn da wird nichts gedrückt, es geschieht. Wenn dem Lebendigen in seiner Entfaltung Raum gegeben wird, dann hat es die Möglichkeit, sich zu äußern, sich zu entfalten. Das Erstaunliche ist, dass dieses Prinzip in unserer Gesellschaft lange Zeit weitgehend verschüttet und zerstört gewesen ist. Schon in der Kindererziehung gibt es dieses „ziehen“, da ist viel Druck drin. In der Schule, in der Uni, im Arbeitsprozess – überall gibt es äußeren Druck: Leistungsdruck, Prüfungsdruck und so weiter. Unter Druck und unter „ziehen“ kann man einen lebendigen Organismus auch bewegen. Allerdings in andere Richtungen, als er sich aus sich heraus bewegen würde. Die Konsequenzen dieses äußeren Drucks sind auf Dauer nicht nur problematisch, sondern destruktiv.