Antonia Rados
„Die Macht eines Menschen erkennt man am Verhalten der Leute, die für ihn arbeiten.“
Zur Person
Antonia Rados wurde 1953 in Klagenfurt am Wörthersee in Österreich geboren. Nach dem Abitur studierte sie Politologie in Paris und Klagenfurt. Nach der Promotion arbeitete sie von 1978 bis 1991 beim ORF als Korrespondentin unter anderem in Chile, Südafrika, Somalia und im Iran. Es folgte ein Wechsel zum WDR. Von 1995 bis 2008 war sie als Auslandskorrespondentin für Kriegs- und Krisenregionen für die Mediengruppe RTL tätig. Seit 2009 ist sie Chefreporterin bei RTL. Rados veröffentlichte zahlreiche Reportagen und Bücher und wurde mit den wichtigsten Medienpreisen ausgezeichnet. Sie lebt gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten in Paris.
02.07.2016, Berlin. Eine schwüle Hitze liegt über der Stadt. Antonia Rados, eine der weltweit renommiertesten Kriegsreporterinnen, wählt als Ort ein Hotel in Berlin-Mitte aus und entschuldigt sich erst einmal. Statt wie erwartet in Korbsesseln in der Lounge finden wir uns in einer weißen Sitzgruppenwüste im Ibiza-Style bei schummrig blauem Licht wieder. „Das sieht ja hier aus wie in einem Puff.“ Rados lässt sich davon nicht irritieren und nimmt sich viel Zeit für das Gespräch. Unprätentiös berichtet sie von dem Dilemma, das die Gewalt auslöst, erklärt, wieso die Probleme im Nahen Osten nicht allein mit dem Islam zu tun haben und offenbart ihre Sehnsucht nach Luxor.
Frau Rados, wir sitzen hier im Herzen eines ziemlich sicheren und friedlichen Europas. Für die meisten Bürger ist das der Normalzustand. Sie hingegen kennen als Kriegsreporterin auch die andere Seite. Hat sich durch diese Tätigkeit Ihre Wahrnehmung der westlichen Welt verändert?
Es gibt zwei interessante Phänomene, die man erlebt, wenn man zwischen diesen Welten hin und her pendelt. Ich möchte beinahe davon sprechen, dass es sich um zwei völlig unterschiedliche Leben auf zwei entgegengesetzten Planeten handelt. Der Planet Krieg, hier konkret der Nahe Osten, und dort der Planet Europa, auf dem seit 70 Jahren Frieden herrscht. Das erste Phänomen besteht darin, dass man selbst gespalten wird. Im Grunde bestehe ich aus zwei Persönlichkeiten. Man ist jemand anderes, wenn man sich in Kriegsgebieten aufhält. Kommt man zurück, ist es schwierig, sich daran zu erinnern, was dort überhaupt vor sich ging – und umgekehrt. Die menschliche Existenz kann sehr unterschiedlich ausfallen, dabei ist der Kriegsplanet Syrien nur drei Flugstunden von uns entfernt. Das zweite Phänomen lautet, dass man einen anderen Kompass für die Idee der Gewalt entwickelt. Vor allem dafür, wie sich Gewalt auf den Einzelnen und die Gesellschaft auswirkt. Diesen Kompass hat man nicht, wenn man nur in Europa lebt. Notgedrungen, denn Europa ist eben friedlich.
Wie darf man sich diesen Kompass vorstellen?
Er richtet sich schnell aus, wenn man in Situationen gerät, in denen Gewalt ausbricht. Der Ausdruck „Gewaltausbruch“ deutet das ja schon an. Gewalt entwickelt sich nicht. Sie bricht aus. Man merkt schnell, Gewalt ist eine Einbahnstraße. Es gibt nur schwer, wenn überhaupt, einen Weg zurück.