Alice Hasters

Alice Hasters

„Alltagsrassismus besteht aus vermeintlich unsichtbaren Dingen.“

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  • Valerie Schmidt
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3. März 2021, Berlin. Im vergangenen Jahr wurde ihr Buch über Rassismus zu einem der meistgelesenen Bücher in Deutschland. Inzwischen kommentiert die Autorin Alice Hasters für die Tagesthemen den Integrationsgipfel der Bundesregierung. Wenige Tage vor ihrem viel beachteten Kommentar nimmt sie sich zweieinhalb Stunden Zeit für unser Interview. Am Telefon spricht die 31-Jährige über junge Schwarze Frauen und alte weiße Männer, über die fehlende Vielfalt in der Medienbranche – sowie darüber, wie sehr Rassismus auch die Liebe und unser körperliches Begehren beeinflusst.

Alice Hasters, viele weiße Menschen haben inzwischen gelernt, dass Rassismus mehr ist als grölende Rechtsextreme oder der Nationalsozialismus. Wo fängt das Problem für Sie an?

Das Problem hat bereits vor Jahrhunderten angefangen, und wenn wir heute nach problemfreien Zonen suchen, dann finden wir eigentlich keine. In Europa hat man über Jahrhunderte die falsche Annahme etabliert, dass es „Menschenrassen“ gäbe und damit begründet, eine Gruppe über andere zu stellen. Diese Annahme hat sich in der Zeit der Aufklärung zu einer „Lehre“ entwickelt und diente als Rechtfertigung für die Verbrechen während der Kolonialisierung, des Imperialismus und der NS-Zeit. Diese Annahme hat alles beeinflusst: Politik, Wirtschaft, Kultur.

Aber es gibt doch große Unterschiede zwischen rassistischem Rechtsextremismus und rassistischen Äußerungen, die nicht böse gemeint sind?

Auf jeden Fall. Allerdings gibt es keine harte Grenze, nach dem Motto: Dort sitzen die bösen Rassisten, hier diejenigen, die damit nichts zu tun haben. So einfach ist das nicht. Das, was man als Alltagsrassismus bezeichnet, besteht oft aus den kleinen, für das Umfeld vermeintlich unsichtbaren Dingen. Wenn bestimmte Blicke haften bleiben. Wenn ich auf Englisch angesprochen werde. Oder wenn ich mich im Kaufhaus anders bewege, weil ich Angst habe, Leute könnten denken, ich würde etwas klauen. Diese Verhaltensweisen prägen unseren Alltag. Weiterhin merkt man es in der Sprache, zum Beispiel, wenn von „Deutschen“ die Rede ist und weiße Deutsche gemeint sind. Diese Ausgrenzungen bilden letztlich die Grundlage für gewalttätige Übergriffe und für den Rechtsruck der vergangenen Jahre. Es gibt also fließende Übergänge – und das macht viele Menschen nervös, denn schließlich will eigentlich niemand rassistisch sein. Aber allein von sich zu sagen, man sei nicht rassistisch, ist überhaupt kein Kriterium, denn selbst Rechtsextreme bezeichnen sich meist nicht als Rassisten. Wir leben in einer Welt, in der alle theoretisch wissen, dass man gegen Rassismus sein soll. In der Praxis geschieht die Aufarbeitung oft nur oberflächlich.

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