Alena Buyx
„Die Tendenz zur Vereinfachung ist nicht zu übersehen.“
Zur Person
Alena Buyx (geboren am 29. September 1977 in Osnabrück) hat Medizin, Philosophie, Soziologie und Gesundheitswissenschaften in Münster, York und London studiert. 2014 trat sie eine Stelle als Professorin für Medizinethik an der Universität Kiel an. Seit 2018 ist sie Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der TU München. 2016 wurde sie in den Deutschen Ethikrat berufen und im Mai 2020, wenige Wochen nach Ausbruch der Pandemie in Deutschland, zur Vorsitzenden gewählt. Ebenfalls seit 2020 gehört Alena Buyx der Sektion „Wissenschaftsphilosophie“ der Leopoldina an. In diesem Jahr wurde sie für ihr herausragendes Engagement mit dem Deutschen Nationalpreis 2021 ausgezeichnet. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.
1. November 2021, Berlin. Alena Buyx muss vor der Fotosession im verregneten Garten des Cafés in Berlin noch schnell ein wichtiges Telefonat beenden. Auch während des Gesprächs bleibt das Handy der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats nicht stumm. Klar, sie ist sehr gefragt in diesen Tagen. Buyx lässt sich aber zu keiner Zeit aus der Konzentration bringen. Sie spricht klar, schnell. Man merkt sofort, dass sie es gewohnt ist, komplexe Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen.
Alena Buyx, wann waren Sie zuletzt mit einem Konflikt konfrontiert, bei dem Sie selbst dachten, der ist unauflöslich, da gibt es kein Richtig oder Falsch?
Während der Pandemie ständig. Ganz aktuell stellt sich die Frage, wie wir damit umgehen, dass sich die Krankenhäuser wieder rapide füllen. Wenn die Lage noch mal richtig schlimm wird, müssen schärfere Maßnahmen eingeführt werden. Wen sollen die dann betreffen? Wer muss wie viel auf sich nehmen? Wie viel Druck darf man auf diejenigen, die noch nicht geimpft sind, ausüben? Das ist im Prinzip unlösbar, weil auf verschiedenen Seiten wichtige Argumente und Faktoren genannt werden. Ich denke darüber viel nach. Im Moment ringen wir als Gesellschaft permanent um das richtige Maß.
Haben Sie ein Beispiel, das nichts mit der Pandemie zu tun hat?
Ich habe gerade erst mit meiner Oberärztin über einen klinisch-ethischen Fall gesprochen. Da ging es um ein viel zu früh geborenes Baby mit bereits schweren Schädigungen und absehbaren weiteren Schäden. Die Eltern wollen nicht mehr, dass behandelt wird, sie wollen, dass es sterben darf. Auf der Kinder-Intensivstation sagen die Behandelnden aber: Eigentlich könnten wir hier schon noch was machen. Solche Konflikte kommen bei uns in der Ethikberatung ständig vor. Meistens geht es um individuelle Fragen, häufig um Entscheidungen am Lebensende. Da gibt es manchmal nicht den einen, richtigen Weg. Sondern eher zwei Wege, die beide schlimm sind – und wo sich dann die Frage stellt: Welcher ist der weniger schlimme?