Nachruf
Zum Tod von Klaus Willbrand
Foto: Marina Weigl
Am 29. Januar 2025 starb Klaus Willbrand im Alter von 83 Jahren. Eine Erinnerung an den Kölner Antiquar und Literatur-Connaisseur, der auf der Zielgeraden seines Lebens bewies, dass Social Media auch völlig anders gehen kann.
Jeder Mensch, der die Literatur liebt und der davon träumt, dass unser kulturelles Erbe erhalten bleibt und der Kanon nicht einfach so im Abgrund der Geschichte verschwindet, hat einen Traum. Den Traum, dass auch jetzt, in diesem Augenblick, überall im Land Menschen die Werke von Thomas Mann, Franz Kafka, Virginia Wolf oder Ilse Aichinger zur Hand nehmen, die Zeit einfriert und sie eine gänzlich andere Erfahrung von emotionaler und intellektueller Versenkung machen, als sie im Zeitalter des fragmentierten Bewusstseins und der Buchsupermärkte voller Geschenkartikel und leichtestem Lesestoff in Farbschnitt üblich ist.
Diesen Traum hat der Antiquar Klaus Wilbrand nicht nur am Leben gehalten, sondern auf Anregung und unter professioneller Regie der Lektorin und Social-Media-Expertin Daria Razumovych ganz frisch zum Leben erweckt. Ein knappes Jahr lang erzählte dieser hochgebildete, mit verschmitztem Humor gesegnete, in der Sache überaus verbindliche und für das Dasein unvergleichlich dankbare Mann aus seinem kleinen Antiquariat im Kölner Uni-Viertel nahe des Geusenfriedhofs heraus der deutschsprachigen Social-Media-Öffentlichkeit über Literatur und Philosophie. 1941 in Essen geboren, absolvierte er seine Lehre zum Buchhändler Anfang der Sechzigerjahre in der legendären Kölner Buchhandlung Witsch, verlegte das lyrische Debüt des Ausnahmeschriftstellers Rolf Dieter Brinkmann und verbrachte aufregende Jahre mit Künstlerseelen und Revoluzzern der 68er-Epoche.
Mit seinen Videos, die auf Instagram, YouTube und TikTok in wenigen Monaten Hunderttausende von Followern anlockten, weckte Klaus Willbrand wieder das Bewusstsein dafür, dass es einen Unterschied gibt zwischen Literatur und Unterhaltung, zwischen Kunst und Handwerk, zwischen dem, was wirklich geschrieben werden muss und dem, was aus vielerlei Gründen bloß geschrieben werden soll. In seinen Urteilen konnte er streng sein und sogar apodiktisch. Zugleich gelang es ihm mit jedem einzelnen Clip, darauf neugierig zu machen, welche Schätze in der Hochkultur noch zu heben sind und was alles auf die persönliche Bucketlist gehört. „Wieso?“, fragte man sich, während man sinnlos durch andere Reels als seine wischte, „vergeude ich hier meine Zeit, wo ich immer noch nicht den Proust gelesen habe?“ Für besonders Geübte veranstaltete er bei einem guten Glas Wein literarische Begegnungen in seiner kleinen Hütte, die so groß war, weil sie endlos in die Tiefe ging.
Durch den Erfolg seiner ruhigen, authentischen, verständlichen, aber anspruchsvollen Videos haben Daria Razumovych und Klaus Willbrand bewiesen, dass Social Media auch ganz anders bespielt werden kann als durch oberflächlichen Unsinn oder neurotischen Narzissmus. In einem seiner schönsten Videos fragt Frau Razumovych aus dem Off, welchen Ausgleich er in seinem Leben zu den Büchern hatte. Die Antwort: „Gute Freunde, ein paar Jahrzehnte eine Ehefrau, große Reisen mit meinem Sohn per Fahrrad.“ Außerdem habe er in den Sechzigerjahren als Cineast jeden guten Film im Original gesehen. „Na ja“, schließt er, „das ist ja schon was.“
Ja, das ist was. Das war was.
Ein Mensch voller Klugheit, Charisma und Herzensbildung ist von uns gegangen und ich bin dankbar dafür, dass ich ihn im Rahmen eines Interviews für unser Magazin im Hochsommer 2024 noch kurz persönlich kennenlernen durfte.
Oliver Uschmann