Berlinale 2025 - Ein Kommentar
Traum-Bären
Foto: © Dirk Michael Deckbar / Berlinale 2025
Es sind sie Träume, die es der Jury der 75. Berlinale angetan haben. Und zwar die guten - zumindest meistens. Die norwegische Produzentin Hege Hauff Hvattum drückte es zum Abschluss der Bären-Gala so aus: „Lasst uns hoffen, dass die Filme, die sich nie auf den Konflikt, sondern auf das gegenseitige Verstehen konzentrieren, eine Inspiration in dieser, unserer, wahnsinnigen Welt sind.“
Wenige Minuten zuvor wurde dem von Hauff Hvattum produzierte Film „Drømmer“ (Dreams (Sex, Love)) der Goldene Bär verliehen. Ein Drama so kunstvoll gestrickt wie die Mohair-Pullis der Lehrerin Johanna, in die sich die 17-jährige Schülerin Johanne verliebt. Für das Mädchen ist es das erste Mal, dass sie so von ihren Gefühlen überwältigt wird, weswegen sie alles in einer Geschichte festhält, in der sie schwärmt, hofft und auch recht detailliert träumt. „Drømmer“ wird unter dem Titel „Träume (Dreams (Sex, Love))“ am 8. Mai in die deutschen Kinos kommen. Die zwei weiteren Teile der Oslo-Stories-Trilogie des norwegischen Regisseurs Dag Johan Haugerud sind für den 17.4. („Liebe (Love)“) und 22.5. („Sehnsucht (Sex)“) vorgesehen.
Der Große Preis der Jury, prämiert mit einem Silbernen Bären, ging an „O último azul“ (The Blue Trail) des Brasilianers Gabriel Mascaro. Darin lässt er die 77-jährige Tereza aus der staatlich verordneten Bevormundung aus- und ins Blaue aufbrechen. „Der Film erzählt vom Recht aufs Träumen und vom Glauben daran, dass es niemals zu spät ist, einen neuen Sinn im Leben zu finden“, fasst Mascaro die Botschaft des Films zusammen.
Die Botschaft des Preises der Jury, ebenfalls prämiert mit einem Silbernen Bären, ist zum einen der Titel des Films, „El mensaje“ (The Message). Zum anderen sind die Botschaften gemeint, die die 10-jährige Anika Tierhaltern von ihren vierbeinigen Lieblingen überbringt. Das Mädchen kann mit Tieren sprechen, egal ob lebendig oder tot, und was sie zu sagen haben, ist meist gut und tröstlich. Ganz anders dagegen klingt die Botschaft von Regisseur Iván Fund: „Die Zeiten in Argentinien sind gerade sehr hart. Das Kino steht unter Beschuss, überhaupt wird die Kultur demontiert. Dazu ist dieser Bär ein gutes Gegengewicht, das den Film auf- und hochleben lässt.“
Der Silberne Bär für die beste Regie wurde dem chinesischen Filmemacher Huo Meng für „Sheng xi zhi di“ (Living the Land) verliehen. Sein Drama handelt vom Ende der traditionellen Landwirtschaft im China des Jahres 1991, erzählt aus den Augen eines Kindes, mit Witz, Wärme und gelegentlichen Grausamkeiten. Die Besetzung besteht dabei ausschließlich aus Laien.
Die darstellerische Tour de Force der australischen Schauspielerin Rose Byrne in Mary Bronsteins Psychodrama “If I Had Legs I’d Kick You“ machte sie schon früh zur heißesten Anwärterin für den Silbernen Bär für die beste Hauptrolle. Eingeklemmt zwischen chronisch krankem Kind und einem schwarzen Loch in der Decke liefert Byrne ein zwar stark überspitztes, aber dafür nicht weniger realistisches Bild einer Mutter, die alles richtig machen will.
Natürlich ist es nie falsch, Andrew Scott („Ripley“ 2024, „All of Us Strangers“ 2023) einen Preis zu verleihen. Der Silberne Bär für die beste Nebenrolle in Richard Linklaters „Blue Moon“ wurde dem britischen Schauspieler von der Jury um Todd Haynes aber vermutlich nur deswegen zugeteilt, weil er es mit traumhaft nonchalanter Zurückhaltung schafft, neben einem spielwütigen und- lustigen, jedes Wort genüsslich monologisierenden, Ethan Hawke zu bestehen.
Filme des rumänischen Regisseurs Radu Jude sind cineastische Eskalationen, in denen Worte, Gefühle, Bilder und Zustände sich am Ende zu einem Mosaik zusammen zu setzten, das so präzise die Realität widerspiegelt, wie nur Satire es kann. In „Kontinental `25“, der Geschichte einer Gerichtsvollzieherin mit Gewissensbissen, ist ihm das wieder so gut gelungen, dass es der Jury den Silbernen Bär für das beste Drehbuch wert war. Den Goldenen Bär bekam Jude schon 2021 für „Bad Luck Banging or Loony Porn“.
Der Silberne Bär für eine herausragende künstlerische Leistung ging an das kreative Ensemble von „La Tour de Glace“ (The Ice Tower), für das die französische Regisseurin Lucile Hadžihalilovi? das Reich der Schneekönigin gleich zweimal hat erstehen lassen, als verschneite Kleinstadt in den Bergen und als Filmset in eben dieser Stadt. Die perfekte Umgebung für eine 16-jährige Ausreißerin, um zur Grenzgängerin zwischen Traum und Realität zu werden.
Edda Bauer