Live auf dem Tollwood Festival
Iggy Pop pulverisiert sämtliche Altersgrenzen
Foto: Alexander Scharf
Alt, wild und unverwüstlich
Seit dem 19. Juni findet das Tollwood Sommerfestival statt, das über einen Monat lang einzigartige Performances von Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt, Konzerte von Newcomern und lokalen Bands als auch großen Legenden der internationalen Musikszene sowie natürlich den „Markt der Ideen“ mit Kunsthandwerk, nachhaltigen Produkten und Bio-Gastronomie bietet. Eines der Konzerthighlights der ersten Festivaltage? Der "Godfather of Punk": Iggy Pop.
Kaum waren die ersten Akkorde des Auftaktsongs „T.V. Eye“ verklungen, lag die Lederweste des 78-Jährigen bereits am Boden. Und das sicher nicht nur wegen der nahezu tropischen Temperaturen im ausverkauften Musikarena-Zelt. Der nackte Oberkörper ist Iggy Pops Markenzeichen und zwar seit Beginn seiner Bühnenkarriere in den 60er-Jahren. Trotz sichtbarer Spuren des fortgeschrittenen Alters präsentiert er ihn an diesem lauen Sommerabend des 24. Juni wie gewohnt voller Stolz, wirkt vital, energiegeladen und beeindruckt mit einer unfassbaren Präsenz. Die Arme wirbeln, die Hände winken, mit schiefer Hüfte stolziert die Punklegende über die Bühne und nimmt sein Publikum, einem Querschnitt aus Altpunks, neugierigen Mittzwanzigern und grauhaarigen Kulturbegeisterten, sofort für sich ein. Das feiert die Salve an Hits wie „Raw Power“, „I got a Right“, „Gimme Danger“ oder „Lust for Life“, die Iggy nicht länger als nötig zurückhält, sondern inbrünstig und gleich zu Beginn der Show abfeuert. „Passenger“ wird zur extended Version mit Bläserbegleitung und Iggy eins mit den Fans. Mit der Ansage „Fuck! Fuck! Fuck! Fuck! Fuck! Fuck! Thank you for fuckin’ coming! Fuck!“ ist der Ton des Abends gesetzt. 30 Minuten und weitere 15 „Fucks“ später hat der 78-Jährige seinen persönlichen Höhepunkt an purer Energieleistung erreicht: Beim Song „I Wanna Be Your Dog“ vom Debütalbum von 1969 schnappt er sich das Mikro und sucht den Weg in den Bühnengraben, ganz nah ran ans Publikum. In seinem typischen Gang bewegt er sich an der Meute entlang, klatscht ab und posiert leidenschaftlich vor den vielen Handykameras. Ohne Atempause geht’s zurück und weiter mit „Search And Destroy“, auf das noch zehn weitere der insgesamt 19 Songs dieses furiosen Konzertabends folgen. Als treibende Kraft steht ihm die siebenköpfige Band zur Seite, die alles andere als eine alte-weiße-Männer-Truppe darstellt und den Songs mitunter spannende neue Facetten verleiht. Die gesamte Performance ist sowieso weit mehr als Nostalgie – sie gleicht einem Manifest der Power, Unangepasstheit und ungebrochenen Bühnenpräsenz. Der Mix aus aus Stooges-Material und Solo-Hits, gespickt mit Ansagen, die Pops Stimme manchmal deutlich eindringlicher wirken lassen als seinen Gesang, macht klar: Hier läuft kein Autopilot.
Zwischen den vielen explosiven musikalischen Momenten blitzt stets jene direkte Ehrlichkeit auf, die man von Punk erwartet – pur, verwegen und herzlich. Iggy Pops Ausrufe in ungeschönter Sprache zeigen, dass Ehrlichkeit noch immer sein stärkstes Ausdrucksmittel ist – begleitet von seiner charakteristischen Gestik: Arme hoch, die Faust geballt, der Blick suchend. Es ist nicht zu übersehen, dass der Körper nicht mehr jeder Bewegung ohne Murren folgt. Doch gerade diese Gebrechlichkeit, dieser Moment, in dem sich das Alter und ein mehr als beanspruchter Körper mit der unbändigen Bühnenlust vermischen, verleiht diesem Konzert eine fast absurde Intensität. Man fragt sich: Wie lange kann ein Mensch so brennen, ohne zu verglühen?
Nach gut 90 Minuten Vollgas ist dann Schluss: Keine überflüssige Zugabe, kein Abschiedssentiment. Iggy Pop wirft das Mikro weg, verlässt die Bühne während eines gemeinsamen Chorgesangs zu „Funtime“ (1977) und hinterlässt einzig den Eindruck: Punk ist nicht nur eine Ära – es ist eine Haltung, die auch im Alter nicht verblasst.
Eine Übersicht über die weiteren Shows des noch bis zum 20. Juli andauernden Tollwood-Festivals sowie Tickets finden Sie auf der Tollwood Homepage.!
Hannah Heubel