Berlinale 2020

Hollywood lebt hier nicht mehr

Johnny Depp und Bill Nighy in Minamata
Foto: Larry horricks/hanWay Films

Die 70. wirklich Internationalen Filmfestspiele Berlin

Filme über die dunkle Seite im Menschen hatte Carlo Chatrian für die Jubiläumsausgabe der Berlinale angekündigt. Doch noch bevor ein einziges Bild über die Leinwand flimmert, muss die Eröffnungsgala unterbrochen werden. Es gibt eine Schweigeminute für die Opfer des rassistischen Terroranschlags in Hanau. Doch nichts ist dunkler als die Wirklichkeit. Der kann man sich stellen und sie reflektieren, wie es viele der politischen Filme in den knapp sieben Jahrzehnten Berlinale getan haben. Oder man flüchtet in eine Traumwelt, etwas, wofür Hollywood Jahrzehnte lang stand, aber seit dieser Oscar-Verleihung infrage stellt.

Die Berlinale aber hat es in diesem Jahr wieder geschafft, sich mit der Wahl es Eröffnungsfilms zwischen alle Stühle zu setzen. „My Salinger Year“ ist viel zu nett und belanglos, um als Eskapismus durchzugehen. Nach Ende der großen Gala bleiben allein die Worte der Kulturstaatsministerin Monika Grütters hängen: „Niemals darf es eine Zusammenarbeit mit diesen nationalistischen und rassistischen Kräften geben.“ Grütters spielte auf die AfD in Thüringen an, und vermutlich nicht nur dort. Sie hätte aber auch Donald Trump meinen können, der fast zeitgleich bei einer Wahlkampfrede in Colorado den Kopf darüber schüttelt, dass ein südkoreanischer Film („Parasite“, falls es noch jemanden gibt, der es nicht mitbekommen hat) den Oscar für den besten Film gewonnen hat. Stattdessen wünscht er sich die gute, alte Zeit mit US-Klassikern wie „Vom Winde verweht“ zurück. Ein früher Farbfilm (1939) mit alter schwarz/weiß-Botschaft (1861).

Trumps Hollywood hat auf der Berlinale nie gelebt. Sogar in Hollywood selbst ist es von einem Hochsicherheitsanwesen mit privatem Meerzugang in ein Luxus-Highrise mit internationaler Nachbarschaft umgezogen. Und manchmal arbeitet es sogar im Ausland. Sigourney Weaver etwa, die mit den fünf „Avatar“-Flaggschiffen sich und die gesamte US-Filmindustrie bis 2027 erhält, ist mit der irisch-kanadischen Ko-Produktion „My Salinger Year“ nach Berlin gekommen. Auch wenn die Komödie um Praktikantinnen-Reh und Chef-Wölfin a la „Der Teufel trägt Prada“ zu intellektuell weichgespült daherkommt und für ein weibliches Pendant zu J.D. Salingers „Fänger im Roggen“ zu milde geriet: Weaver und ihre junge Kollegin Margaret Qualley brachten kurzfristig Glanz in die Hütte am Potsdamer Platz.

Etwas, das Hollywoods letzter Freibeuter und Captain des Fünfmasters „Fluch der Karibik“ Johnny Depp mit Links schafft. Im Schlepptau hatte er „Minamata“, das britische Drama über die gleichnamige Krankheit, ausgelöst durch eine japanische Chemiefabrik. Depp mimt darin den amerikanischen Fotografen W. Eugene Smith, dessen Aufnahmen die Katastrophe 1971 ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt. Ultimativer Glamour mündet in echte Sorge um den Planeten, wenn er dabei was von „Herzensangelegenheit“ nuschelt. Beide Filme gehören zur Reihe „Berlinale Special“. Bis letztes Jahr wären sie im Wettbewerb mitgelaufen, allerdings außer Konkurrenz. In diese Kategorie fiel unter der Ägide Kosslick alles, was eher mit Promis gepolstert war als mit Anspruch möbliert. Chatrian und Rissenbeek haben unter dem neuen Titel mehr darauf geachtet, dass der Anspruch nicht unter ein gewisses Niveau sinkt (was er auch bei „My Salinger Year“ nicht tut), wobei der ein oder andere Star auch nicht gerade stört.

Erwartet werden noch Roberto Benigni („Das Leben ist schön“, 1997) als Geppetto in der großangelegten Neuverfilmung von „Pinocchio“. Hillary Clinton, die zur Verfügung steht, wenn noch Fragen offen sein sollten, nach mehr als vier Stunden „Hillary“. Zudem auch Tilda Swinton, Omar Sy, Virginie Efira und Lars Eidinger als SS-Offizier (“Persischstunden”) und Zwillingsbruder (!) von Nina Hoss (“Schwesterlein”).

Edda Bauer