Berlinale 2018 (Teil V)

GALORE berichtet von der Berlinale - Die Gewinner

Foto © berlinale.de

Das Radikalste der 68. Internationalen Filmfestspiele Berlin war die Vergabe der Bären. Mit wilder Entschlossenheit pickten sich Jury Präsident Tom Tykwer und seine fünf Mitstreiter das Ungewöhnlichste, Provokanteste, Subtilste aus dem Wettbewerb heraus. Klingt verwirrend, ergibt aber einen Sinn, wenn Tykwer zu Beginn der Verleihung erklärt, „nicht nur das würdigen zu wollen, was das Kino kann, sondern auch das, wo es noch hingegen kann.“

Bei dem Goldenen Bären für die Doku/Spielfilm-Mixtur „Touch Me Not“ hieße das, bewusst gebrochene persönliche Grenzen, sowohl auf der Leinwand, als auch beim Publikum. Die rumänische Regisseurin Adina Pintilie ist studierte Filmkünstlerin und zudem Kuratorin des Internationalen Experimentalfilm Festivals in Bukarest. Über den Goldenen Bären für ihr Langfilmdebüt schien sie von allen Anwesenden am Überraschtesten gewesen zu sein. Wohl nicht zuletzt deswegen, weil sie sich als Autorin, Regisseurin, Cutterin und in die Handlung eingreifender Charakter von „Touch Me Not“ viel mehr für den Silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung empfohlen hätte. Doch dieser Bär ging stattdessen und sehr gerechtfertigt an die russische Kostüm- und Szenenbildnerin Elena Okopnaya für ihre Arbeit an „Dovlatov“. Darin taucht sie nicht nur das Hadern des Schriftstellers Sergei Dovlatov mit der sowjetischen Zensur in das heimelige Nikotin-Beige der intellektuell verqualmten 70er-Jahre. Sie zeichnet zudem den Glanz des einzigen Sankt Petersburg mit feinen Strichen an die Fensterscheiben der Leningrader Werft-Zeitung, für die Dovlatov arbeitet.

Den großen Preis der Jury erhielt die polnische Regisseurin Ma?gorzata Szumowska für ihre Satire „Twarz“. In deren Zentrum steht der Metal-Fan und Metallarbeiter Jacek, der beim Bau der weltgrößten Christusstatue in Swiebodzin schwer verunglückt. Als er Wochen später stark entstellt in sein tief katholisches Heimatdorf zurückkehrt, schlägt ihm eine Welle von Misstrauen, Ablehnung und unverhohlener Bigotterie entgegen. Die Handlung etwas zu weich gespült durch eine verhinderte Love-Story, bezieht „Twarz“ seinen Reiz aus den Widersprüchen zwischen Bild und Ton, so etwa Natur zu Heavy Metal und 33 Meter Christus zu scheinheiligen Dialogen über die Hölle.

Wenn die diesjährige Bären-Vergabe tatsächlich auch zukunftsweisend gemeint war, dann wies der Silberne Regie-Bär für Wes Anderson und seinen Puppentrickfilm „Isle of Dogs – Ataris Reise“ in Richtung massivem Stellenabbau in der Schauspieler-Branche. Oder aber auch in Richtung (noch) mehr bizarrer Ideen und Selbstironie auf dem Animations-Sektor. Solange es aber noch Schauspieler gibt, wurden diese auch mit Bären bedacht. Den für den besten männlichen Darsteller gewann der 23-jährige Franzose Anthony Bajon in Cédric Kahns „La prière“ (Das Gebet). Ist der Titel in Kahns Drama Programm, ist es vor allem der kindlich trotzige Widerstand von Bajons drogensüchtigem Thomas, dem die Sympathie der Zuschauer gehört. Insgeheim war die diesjährige Berlinale jedoch das Festival von Franz Rogowski, dem deutschen Shooting Star und zweifachen Protagonisten („Transit“, „In den Gängen“).

Der Bär für die beste Darstellerin wurde Ana Brun überreicht, die in der paraguanischen Tragikomödie „Las herederas“ (Die Erbinnen) eine der raren Filmhauptrollen für Frauen über 50 grandios ausfüllt. Dass sie als Chela, die unselbstständige Hälfte innerhalb einer lesbischen Beziehung, plötzlich gezwungen ist, sich ihrer unmittelbaren Umwelt zu öffnen, kann auch als gesellschaftskritische Parabel auf Paraguay gedeutet werden. Regisseur Marcelo Martinessi, der mit „Las herederas“ seinen Spielfilm-Erstling abgeliefert hat, wurde dafür mit dem Silbernen Bären, dem Alfred-Bauer-Preis, als Lobende Erwähnung ausgezeichnet.
Immerhin bekam die zwar nicht bei allen als Top-Favorit gehandelte, aber doch von sehr vielen wohlwollend bedachte Kunstraub Dramödie „Museo“ den Silbernen Bären für das beste Drehbuch. Eine Ehrung, die nur den erzählerischen Teil hervorhebt, die visuellen Ideen (Frozen Frames und Schattenspiele), sowie die musikalischen Kommentare (Opus „Die Nacht der Mayas“ und „Riders in the Storm“ von dem Doors) völlig außen vor lässt. Die vier deutschen Beträge („Transit“, „3Tage Quiberon“, „Mein Bruder heißt Robert…“ und „In den Gängen“) gingen leer aus. Von den vier Filmen von weiblichen Regisseuren (s.o. und „Figlia Mia“, „3 Tage Quiberon“) wurden zwei ausgezeichnet, was relativ viel und hoffentlich wie von Tom Tykwer heraufbeschworen, zukunftsweisend ist.

Edda Bauer