Berlinale (Teil III)

GALORE berichtet von den 68. Internationalen Filmfestspielen in Berlin

Foto © berlinale.de

An Mut fehlt es der Berlinale in diesem Jahr auf keinen Fall. Davon zeugt der absichtlich eingebaute Filmterror, der sich auf einen Tag konzentrierte, dafür aber ideologisch paritätisch breit gefächert war: morgens rechtsextrem („Utøya 22. juli“), nachmittags linksextrem („7 Days in Entebbe“) und zwischendurch Psychoterror, ausgeübt vom Stern Magazin mit Bild-Methoden an Romy Schneider („3 Tage in Quiberon“). Der tapfere Zuschauer ist dabei der Reihe nach: hautnah dabei, stiller Voyeur, erschöpft eingeschlummert, trotz „zäher junger Burschen“ in israelischen Uniformen (Spiegel Artikel: Entebbe: Die zähen jungen Burschen).

Rund 16 Stunden später und weitaus unabsichtlicher findet mit „Ang Panahon ng Halimaw – In Zeiten des Teufels“ ein 234minütiger Angriff auf jedermanns persönliche Grenze für gesungene Dramatik in Kriegszeiten und Tagalog statt. Gefolgt von einem 174minütigen Ringen um Wachzustand und Contenance für „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“. Der deutsche Regisseur Philip Gröning lässt zu diesem Zweck seine Hauptdarstellerin Julia Zange Sätze wie „Ich heiße Robert und liebe Cäcilie“ mehrfach alarmisch kreischen. Das Management des Berlinale Palasts hilft seinerseits mit einer versehentlich laut geschalteten Durchsage „Das Rauchen ist für alle Mitarbeiter im Haus strengstens verboten“ nach. Erinnerungen an heimliche Zigaretten auf stillen Toiletten werden wach – vielleicht war früher doch alles besser? Zumindest die guten alten schlechten Angewohnheiten? In diesem Sinne ist es dann doch wieder ein US-Amerikaner im Wettbewerb, der einen mit den guten alten Sehgewohnheiten des Kinos versöhnt. Regisseur Gus Van Sant bricht innerhalb von kurzweiligen 113 Minuten das an sich schwermütige Thema der Trockenwerdung eines Alkoholikers auf, indem er es entlang der literarischen Lebensbeichte des querschnittgelähmten Cartoonisten John Callahan erzählt. Laufende Strichmännchen zu zynischen Onelinern sind dabei obligatorisch - so auch der Titel „Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot“ (Immer mit der Ruhe, zu Fuß kommt der nicht weit). Joaquin Phoenix‘ rote Zottelhaare, seine schrillen Hawaii-Hemden und die extrem porentiefen Großaufnahmen tragen zudem zur satirisch gefärbten Perspektive auf das 12 Stufen-Programm der Anonymen Alkoholiker bei. Ein ausgesprochen hübsches Detail ist darüber hinaus AA-Gruppen-Mitglied Hans in Gestalt von Udo Kier. Ging dessen Backwoundstory im Film (bei Großmutter im Schwarzwald groß geworden, einziger Ansprechpartner war seine Katze Fifi) schon sehr ans Herz, gestand er bei der Pressekonferenz die ganze schreckliche Wahrheit: Die betrunkene Tante hat Fifi aus dem Fenster geworfen, weswegen ihn die Oma zur Beruhigung mit Schnaps abgefüllt hat. Da war Hans noch keine 13. Damit hat er dann auch dem menschenscheuen Joaquim Phoenix bei der Pressekonferenz den einzigen satten Lacher abgerungen.

Edda Bauer