Berlinale 2018 (Teil IV)

GALORE berichtet von den 68. Internat. Filmfestspielen in Berlin - Teil 4

Eine erwartete Überraschung ist ungefähr so wahrscheinlich wie ein sich nicht widersprechendes Oxymoron. Dennoch kann die sich langsam ausblendende 68. Berlinale mit ersterem aufwarten, und das sogar in dreifacher Ausfertigung.

In die letzten zwei Tage packten die Programmierer des Wettbewerbs drei so starke Filme, dass das Bären-Roulette noch einmal richtig in Fahrt gekommen ist. Vor allem der mexikanische Beitrag „Museum“ hat beste Chancen, sich die Trophäe in Gold zu sichern. Stilecht kündigt Regisseur Alonso Ruizpalacios schon in den ersten Minuten nicht etwa eine wahre Geschichte an, sondern eine Nachbildung des Originals. Letzteres handelt von einem Raub im Jahr 1985, bei dem wertvolle Maya-Artefakte aus dem Anthropologischen Museum in Mexico City entwendet wurden. Die Nachbildung aber erzählt die weit kunstvollere Geschichte von zwei Studenten, deren Hang zu Schabernack nur noch von ihrem Drang nach Ferne und Abenteuer übertroffen wird. Dafür brauchen sie Geld, das ihnen der Verkauf einiger Stücke aus dem beliebten Naturkunde-Museum einbringen soll. Psychothriller, Gesellschaftsdrama, Krimikomödie, alles hat seinen Ort in Ruizpalacios‘ „Museum“, das er zudem mit Miniaturen cineastischer Monumente wie „Topkapi“, „Spartakus“ und „La noche de los mayas“ verziert hat. Dass einer der Studenten von Gael Garcia Bernal gespielt wird, schadet dem Unterhaltungswert von „Museum“ unüberraschenderweise gar nicht. Nach „Transit“ festigt Franz Rogowski als Protagonist der Tragikomödie „In den Gängen“ und Frischling in einem ostdeutschen Großmarkt seinen Anspruch auf den silbernen Bären für den besten männlichen Darsteller. Regisseur Thomas Stuber lässt innerhalb der wenig ansprechenden Wände eines Großhandels eine Welt entstehen, in der Gabelstapler-Slapstick ebenso Platz hat wie zarte Romantik und die jüngste deutsche Geschichte. Qualitätsgeprüfte und verlässliche Kollegen wie Sandra Hüller und Peter Kurth unterstützen Rogowski aufs Feinste bei seiner Arbeit. Eine Bären-Kategorie wie „für herausragende künstlerische Leistung“ ist förmlich geschaffen für Werke wie das rumänische Doku/Spielfilm-Crossover „Touch Me Not“. Mit kurzer Brennweite und langen Einstellungen geht darin die Langfilm-Debütantin Adina Pintilie dem Zusammenhang von Körpergefühl und Sexualität nach. Eine menschenscheue Frau, ein haarloser Mann und ein Schwerstbehinderter im Rollstuhl sind auf der Suche nach sich selbst, wobei sie nicht selten an eigene körperliche Grenzen stoßen. Oft durchbricht Pintilie mit meditativer Ruhe die von Film, Fernsehen und Werbung festgelegten Schönheitsideale und die in Lifestyle-Magazinen propagierte Grenze einer normalen Sexualität. Das ist provokant für die einen, spannend für andere, aber sicherlich nichts für die breite Masse. Auf breiten Konsens aber stößt die These, dass sich der Wettbewerb der 68. Internationalen Filmfestspiele Berlin mit diesen drei Filmen am Ende aus der Mittelmäßigkeit herauskatapultiert hat.

Foto: Indengang/ Sommerhaus Filmproduktionen

Edda Bauer