Aus der Redaktion

GALORE 42 mit Lisa Eckhart - Ein Kommentar von Michael Lohrmann

Man sollte sich weniger über die Kabarettistin Lisa Eckhart empören, sondern vielmehr darüber, dass es heutzutage scheinbar Courage benötigt, um Kunst- und Redefreiheit zu gewähren.
Ein Kommentar von Michael Lohrmann

Wir von GALORE sind nicht dafür bekannt, unsere Positionen klar und unmissverständlich in der Öffentlichkeit zu äußern. Als Interview-Magazin nehmen wir uns gerne zurück. Wir fragen – und überlassen die großen Aussagen unseren Interviewpartnern. Weil unsere Meinung so lediglich zwischen den Zeilen, in womöglich pointierten Fragen, aufblitzen kann, wird Ihnen vor allem die Auswahl unserer Gesprächspartner dabei helfen, unsere Haltung einzuschätzen. Sollten Sie nach all den Jahren also zu dem Schluss gekommen sein, dass das GALORE-Herz für eine liberale und weltoffene Gesellschaft schlägt, werden Sie von uns keinen Widerspruch erfahren.

Wo man politisch steht, scheint heute aber auch verstärkt eine Frage des Blickwinkels zu sein, genauer gesagt: des Blickwinkels der anderen. Das fängt im Privaten an. Während die meisten von Ihnen sich in Ihrem differenzierten Weltbild vermutlich eher links von der Mitte verorten, werden Menschen, die sich kompromisslos links positionieren, womöglich jemanden in Ihnen sehen, der sich dank einiger vermeintlich konservativer Überlegungen bereits zu weit rechts eingeordnet hat. In solchen Momenten lässt sich schnell Argwohn ernten, je nach Grad der Kompromisslosigkeit kann für temporäre Abweichler aber auch ein Rauswurf aus dem „Club der Guten“ die Folge sein, frei nach dem Motto: Wer nicht immer für uns ist, der ist gegen uns.

Haltung muss elastisch sein

Die steigende Unlust zur Differenzierung mag die Auswirkung einer komplexen Welt sein, in der einfache Antworten nur noch möglich sind, wenn man Grenzen klar absteckt. Moralische Leitplanken geben dem Individuum Halt, dieser verstärkt sich durch Gruppendynamik unter Gleichgesinnten. Das muss nicht schlecht sein, im Gegenteil ist es gut, wenn man für eine Überzeugung einsteht. Schwierig wird es, wenn Haltung unelastisch ist, wenn aus einer einbetonierten Sicht auf die Welt alles verteufelt wird, was von der eigenen Überzeugung abweicht. Wie ausgeprägt der Korpsgeist einer Gruppierung ist, lässt sich am besten beobachten, wenn ein „Shitstorm“ durch das Internet wirbelt, diese kollektive Unmutsbekundung, von der sich Gesinnungsanhänger angezogen fühlen wie die Motten vom Licht. Nicht zu beneiden sind in solchen Momenten diejenigen, die im „Shitstorm“ stehen. So ergeht es in diesen Tagen nicht zuletzt vielen Comedians und Kabarettisten. Das ist interessant, weil deren Kunst im besten Fall ja erst genau durch Reibung entsteht und diese Menschen daher per Berufsdefinition viel Angriffsfläche bieten.

Erstaunlich ist dabei, wie kurz die Wege sind. Da arbeitet sich jemand jahrelang auf der Bühne für eine freie Gesellschaft und gegen den Rechtsextremismus ab – doch spielt das alles keine Rolle mehr, wenn diese Person die Fridays for Future-Bewegung aufs Korn nimmt. Eben noch Teil des Clubs, jetzt ein Feindbild: Das geht sehr schnell – insbesondere dann, wenn das rechte Lager, gegen das man lange gewettert hat, Inhalte aufgreift, diese aus dem Kontext reißt und für seine Zwecke nutzt. Wenn also ausgerechnet die AfD Dieter Nuhr beispringt, dann wird es absurd. So absurd wie der Vorgang, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft im vorauseilenden Gehorsam einen Videobeitrag von Nuhr aus dem Netz genommen hat, um einem „Shitstorm“ zu entgehen. Wie mag es einem gehen, dessen Arbeit es ist, Reibung zu erzeugen und Tabus zu brechen – und der dann genau dafür abgestraft wird? Allzu menschliche Reaktionen darauf wären Verdruss und Wut.

Die Kabarettistin Lisa Eckhart wird vermutlich frei von solch irdischen Reaktionen sein. Zumindest geht sie damit nicht hausieren: Als der bald 28-jährigen Österreicherin wegen eines kurzen Auszugs aus einem Programm von 2018 Antisemitismus vorgeworfen wurde, kam von ihr keinerlei öffentliche Reaktion. Eckhart, die auf der Bühne eine eiskalte, boshafte Diva mimt, von der man glauben könnte, dass sie direkt aus einem Wiener Café des 19. Jahrhunderts in die Gegenwart katapultiert wurde, beobachtet das aktuelle Zeitgeschehen mit einer permanent grenzwertigen Gemeinheit. Das Skalpell, mit dem sie seziert, ist bitterböser Sarkasmus. Stets eloquent und mit beachtlicher Rhetorik gesegnet, arbeitet sie sich mit einer beinahe unangenehmen Arroganz von oben herab an den weltlichen Themen ab, auch vor von Linken besetzten moralischen Standards macht ihr Spott keinen Halt. Nur Abscheu für die Rechten zu zeigen, wäre vermutlich zu einfach, zumal: Wo bliebe im Konsens die Reibung?

Unbehagen ist Teil des Programms

Das in aller Regel politisch links verortete Kabarett-Publikum erlebt an einem Abend mit Lisa Eckhart Momente, in denen das Lachen im Halse stecken bleibt. Wenn die Kabarettistin unserem stets guten Ansinnen den Spiegel vorhält, ist das nicht immer leicht zu ertragen, mit steigendem Härtegrad der selbst zugebilligten moralischen Korrektheit kann sich dieses Gefühl nur noch verstärken. Die Künstlerin suhlt sich in diesen Momenten, sie scheint die Provokation zu genießen und einen diebischen Spaß daran zu haben, Wunden zu reißen und darin Salz zu verreiben. Der Punkt, an dem das Vorgetragene kaum auszuhalten ist, an dem es so weit geht, dass man nicht mehr andere, sondern vor allem sich selbst beleidigt fühlt, kann bei Eckhart schnell erreicht sein. Ihr Künstlername kommt wohl nicht von ungefähr: Sie eckt an – und das hart. Nur: Hohn, Sarkasmus und Boshaftigkeit dieser Bühnenfigur machen sie nicht zu einer Antisemitin, die nun einige in ihr sehen wollen. Wer das behauptet, blendet aus, dass sich nicht eine einzige Gruppierung vor ihrer lyrisch vorgetragenen Stichelei in Sicherheit wiegen kann. Alle bekommen was ab. Das Unbehagen, das sie damit beim Publikum auslöst, ist Teil des Programms. Es steht für eben diese Reibung, die Kabarettisten im besten Fall von Witzeerzählern unterscheidet.

Einigen Bewohnern eines linken Viertels in Hamburg scheint es gelungen zu sein, all dies auszublenden. Das Harbour Front Literaturfestival hatte sich eine Location in eben diesem Kiez ausgesucht, den Nochtspeicher, auf dessen Bühne Lisa Eckhart neben sieben weiteren Nachwuchs-Autoren auftreten sollte. Das Dilemma begann nun damit, dass den lokalen Veranstaltern vom wohlmeinenden Teil der Nachbarschaft zu verstehen gegeben wurde, dass ein Auftritt der Österreicherin wohl nicht ohne Folgen bleiben würde. Angst, linke Aktivisten könnten die Veranstaltung aufmischen, machte sich breit, es sei zu hören, dass sich der Protest bereits formiert hätte. Diese Warnung kommunizierte das Nochtspeicher-Team an die Festivalleitung, fasste die Geschehnisse jedoch als Drohung von Seiten des linken Spektrums zusammen.

Es ist an dieser Stelle wichtig anzumerken, dass der örtliche Veranstalter bereits 2016 Erfahrungen mit dem Phänomen „Cancel Culture“ gemacht hatte, als linke Aktivisten eine Lesung von Harald Martenstein sprengten. Neben seiner vermeintlichen Frauenfeindlichkeit haben die Aktivisten damals die kritische Haltung des Autors zur Genderforschung angeprangert, verbunden mit dem Vorwurf, er würde die Diskriminierung von Juden, Frauen und Schwarzen bewusst verharmlosen. Das spontane Angebot der Veranstalter, auf der Bühne mitzudiskutieren, lehnte die Gruppe ab, stattdessen wurde das Heizgerät im überdachten Raucherbereich sabotiert. Dabei wurde das Ventil einer Gas-Flasche entfernt und der Hahn aufgedreht. Schlimmeres konnte nur verhindert werden, weil die Betreiber der Location die Gefahrensituation rechtzeitig bemerkten.

Wie viel reale Bedrohung schwingt in einer Warnung?

Weil die Ereignisse der vergangenen Jahre eher nicht zu einer Beruhigung der gesamtgesellschaftlichen Stimmung beigetragen haben, gelangte das Nochtspeicher-Team zu dem Ergebnis, es sei sinnlos, „eine Veranstaltung anzusetzen, bei der klar ist, dass sie gesprengt werden wird und sogar Sach- und Personenschäden wahrscheinlich sind.“ Dass Eckhart die gleichen Angriffsflächen bietet wie seinerzeit Martenstein, mag bei der Beurteilung ebenso eine Rolle gespielt haben wie die zu diesem Zeitpunkt aufkommenden Gerüchte, zwei Autoren würden sich weigern, mit Eckhart die Bühne zu teilen und deswegen ihrerseits mit Absage drohen. Kurz: Hier lag was in der Luft.

Die Festivalleitung sah sich nach der Kommunikation der Bedenken des örtlichen Partners nicht imstande, die Lesung in ein weniger schwieriges Viertel der Stadt zu verlegen und so das Problem zu lösen. Stattdessen bat man Lisa Eckhart darum, ihren Auftritt aufgrund der gesamten Gemengelage proaktiv abzusagen. Weil ihr Management das ablehnte, übernahm der Veranstalter die Absage selbst, recht lapidar hieß es auf der Festival-Homepage, dass die Lesung „leider entfallen muss“. In Folge dessen begann ein öffentlicher Diskurs, der die Angelegenheit zum Politikum werden ließ. Die Festival-Macher boten der Kabarettistin an, doch wieder Teil des Festivals zu sein, indem ihre Lesung per Videostream übertragen wird. Eckhart lehnte das ab. Als die Verantwortlichen des Nochtspeicher ihre anfängliche Aussage zur Bedrohungslage schließlich relativierten und nun von einer „Warnung“ sprachen, reagierte die Festivalleitung etwas spitzfindig: Man würde im Gegensatz zum örtlichen Veranstalter nämlich sehr wohl zwischen einer „Warnung“ und einer „Drohung“ unterscheiden und daher jetzt die Absicht verfolgen, eine neue Location für alle acht Autoren zu finden. Der Ablauf der Dinge erinnerte nun sehr an die angstgetriebene Posse um die Deutsche Forschungsgesellschaft und Dieter Nuhr. Es scheint in diesem Fall aber auch darum gegangen zu sein, doch noch deutlich zu machen, nicht vor „Cancel Culture“ eingeknickt zu sein. Selbst wenn es dafür der latenten Wortklauberei bedarf.

Eckhart wurde also erneut eingeladen. Gemeinsam mit ihrem Verlag bedankte sie sich für das Angebot der Veranstalter, einen anderen als den ursprünglichen Ort für die Lesungen zu suchen, nach dem Hin und Her der vergangenen Wochen und Tage würde diese Überlegung aber zu spät kommen. Stattdessen wurde das Festival mit einer ersten konkreten Absage eines Gastes konfrontiert: Der Autor Sascha Reh sah sich demnach „außerstande“, bei einer Veranstaltung zu lesen, „die sich nicht unmissverständlich hinter das Recht auf Freiheit in Kunst und Rede stellt – auch dann, wenn mit Krawall zu rechnen ist.“

Um die Courage der anderen lässt sich leicht bitten

Zu diesem Zeitpunkt war das Kind längst in den Brunnen gefallen, vielleicht war es das schon, als linke Aktivisten 2016 im Vorfeld der Lesung von Martenstein im Nochtspeicher etwas zu regeln hatten. Im Raum steht dabei die zentrale Frage, wie man reagieren soll, wenn die Gefahr besteht, dass Extremisten eine Veranstaltung verhindern wollen und dabei auch nicht vor Gewalt zurückschrecken. Haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, eine Antwort parat? Vermutlich folgen viele dem ersten Impuls, zu sagen, dass man diesen Leuten die Stirn bieten muss und sich nicht beirren lassen darf. Ein Veranstalter jedoch, der bereits Erfahrungen mit „Deplatforming“ gemacht hat, mag da mit einigem Recht zu einem anderen Ergebnis kommen. Er muss abwägen, ob er die Unversehrtheit von Publikum und Künstlern mit aufs Spiel setzt, wenn er mit seinen Mitarbeitern die Kunst- und Meinungsfreiheit verteidigt. Engagierte Fußballfans müssen ähnlich abwägen, wenn sich in ihren Block rechte Hooligans mischen – und es von der Couch schallt, man müsse sich diesen Leuten entgegenstemmen. Mit Sicherheitsabstand lassen sich auch hier leicht Reden schwingen.

Die Absage sendet das Signal aus, dass die Angst vor den Aktionen radikaler Menschen beeinflusst, wer wo auftreten darf – und wer nicht. Dieses Signal ist fatal, denn es vermittelt den Eindruck, dass es Courage benötigt, Meinungs- und Kunstfreiheit zu ermöglichen. Das darf aber nicht zur Selbstverständlichkeit werden, quasi als eine Art Berufsrisiko, das man als Veranstalter nun mal in Kauf nehmen muss. Selbstverständlich sollte dagegen in einer freien und weltoffenen Gesellschaft die Annahme sein, dass Gewalt kein wahrscheinliches Szenario ist, weil Widerspruch und Ablehnung mit Worten und Argumenten vorgetragen werden. Es wäre schade, wenn diese Einordnung bereits naiv klingt.

Tatsächlich haben wir aufgrund der Vorkommnisse darüber beraten, ob wir Lisa Eckhart weiterhin auf das GALORE-Titelbild nehmen sollten. Wohlgemerkt nicht aufgrund aufkommender inhaltlicher Zweifel, denn das Interview mit ihr ist wohl eines der bemerkenswertesten der Magazin-Geschichte, sondern mit Blick auf mögliche Konsequenzen, mit denen auch ein journalistisches Nischenprodukt wie GALORE rechnen kann. Weil das jedoch vornehmlich kleine Internet-Scharmützel sein werden, verbunden mit dem Vorwurf der Kontaktschuld, sollten Sie unsere Entscheidung, ein wenig aus der Komfortzone herauszutreten, nicht als sonderlich mutig deuten. So traurig das ist: Im Jahr 2020 wäre es mutig gewesen, wenn ein Veranstalter eine Kabarettistin aus ihrem Buch hätte vorlesen lassen.

Michael Lohrmann
Herausgeber GALORE

GALORE 42 mit elf ausführlichen Interviews, einer 32-seitigen Literaturbeilage sowie einem umfangreichen Kulturteil erscheint am 27. August. Sie können die Ausgabe hier vorbestellen.