Berlinale 2025 - Zum Auftakt

Everything‘s Tuttle

Everything‘s Tuttle

Foto: Edda Bauer


„Unsere Vergangenheit ist Teil unserer Gegenwart und Zukunft.“ Es sind Satze wie dieser – kurz, prägnant, angemessen und druckbar –, mit denen Tricia Tuttle schon im Vorfeld der diesjährigen Berlinale punkten konnte. Die 55-jährige Amerikanerin ist schon seit April 2024 die neue Intendantin der Internationalen Filmfestspiele Berlin, doch die Eröffnungsgala der 75. Ausgabe ist ihr erster großer öffentlicher Auftritt. Und schon ab da läuft alles „very tuttle“: publikumsfreundlich knackig, cineastisch versiert und als Gastgeberin herzlich. Schließlich ist der Film, der ihrer Rede, der Vorstellung der Jury und der Verleihung des Goldenen Ehrenbären folgt, lang genug: 162 Minuten.

Dass Tom Tykwers „Das Licht“ zusammen mit der Gala in sieben weiteren Städten in Deutschland übertragen wird, ist übrigens auch „very Tuttle“. Als künstlerische Leiterin des London Film Festivals, die sie von 2008 bis 2023 war, hat sie mit neuen Sektionen für Serien und Virtual Reality das bis dahin erstaunlich konventionelle Programm erweitert. Um das Publikum auch in Covid-Zeiten für das Kino zu erhalten, richtete sie zusammen mit dem British Film Institute ein Streaming-Portal ein, nur um nach der Pandemie einzelne Filmpremieren landesweit zu übertragen, damit die Zuschauer wieder zurück in die Kinosäle kommen.

Tuttle Bild: Richard Hübner

Tricia Tuttle, Foto: Richard Hübner

„Politik ist tief in der DNA dieser Stadt angelegt.“ Wieder so ein Tuttle-Satz, den sie bei der Presskonferenz zur Programmvorstellung gesagt hat, allein schon, um der Frage, ob die Berlinale unter ihrer Ägide weiterhin politisch ausgerichtet sein wird, zuvorzukommen. Nach dem Aufruhr, den die Rede des jüdischen Co-Regisseurs Yuval Abraham ausgelöst hat, als ihm und seinem palästinensischen Kollegen Basel Adra der Silberne Bär für die Dokumentation „No Other Land“ verliehen wurde, hatte einige Filmemacher*innen zweifeln lassen, ob die Berlinale noch der richtige Ort für Filme mit einer politischen Aussage sei. Aber was ist nicht politisch in einer Zeit, in der selbstverständlich geglaubte Dinge wie Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung wieder infrage gestellt werden? Dinge, die vielleicht nicht in allen, aber in sehr vielen Filmen gerade auf der Berlinale immer eine große Rolle gespielt haben, in „Die zwölf Geschworenen“ (Goldener Bär 1957) ebenso wie in „Gegen die Wand“ (2004).

Wie wichtig die Berlinale als Ort für die Kommunikation brennender Anliegen geworden ist, zeigt sich auch daran, dass in diesem Jahr zum ersten Mal der Teddy-Award für den besten Dokumentarfilm mit queerem Bezug automatisch für den Dokumentar-Oscar im folgenden Jahr nominiert ist.

Eine neue Sektion mit dem Titel „Perspectives“ rückt mit einem Wettbewerb internationale Spielfilmdebüts von Filmemacher*innen in den Fokus. Zum Auftakt konkurrieren 14 Filme, darunter auch eine deutsche und eine österreichische Produktion, die allesamt ihre Premiere in der Stage Bluemax Theater, einer nagelneuen Berlinale-Abspielstätte, feiern.

Und nicht zuletzt ist auch das große neue Willkommensbanner am Potsdamer Platz zu erwähnen und der HUB 75 gleich neben dem roten Teppich. Er soll erstmalig das Herzstück des Filmfests werden, an dem vormittags frei zugängliche Filmtalks, etwa mit Tom Tykwer und Nina Hoss, stattfinden, während er nachmittags zum Hang Out für akkreditierte Filmschaffende und Journalist:innen wird, die in den letzten Jahren immer weniger Platz zum Austausch hatten.

Denn, wie Tricia Tuttle es wieder in einem Satz bei der Eröffnungsgala zusammenfasst: „Ich wünsche mir, dass wir uns gegenseitig Gehör schenken.“ Das gilt für Ton ebenso wie für Bild und ganz besonders für die 19 Filme im Wettbewerb, über die Jurypräsident Todd Haynes mit Maria Schrader, Fan Bingbing, Bina Daigeler, Amy Nicholson, Rodrigo Moreno und Nabil Ayouch diskutieren wird.

WETTBEWERB:

Ari
von Léonor Serraille
Frankreich / Belgien 2025

Blue Moon
von Richard Linklater
USA / Irland 2025

La cache (The Safe House)
von Lionel Baier
Schweiz / Luxembourg / Frankreich 2025
World premiere

Dreams
von Michel Franco
Mexiko 2025

Drømmer (Dreams (Sex Love))
von Dag Johan Haugerud
Norwegen 2024

Geu jayeoni nege mworago hani (What Does that Nature Say to You)
von Hong Sangsoo
Südkorea 2025

Hot Milk
von Rebecca Lenkiewicz
Großbritannien 2025

If I Had Legs I'd Kick You
von Mary Bronstein
USA 2024

Kontinental '25
von Radu Jude
Rumänien 2025

El mensaje (The Message)
von Iván Fund | with Mara Bestelli, Marcelo Subiotto, Anika Bootz, Betania Cappato
Argentinien / Spanien 2025

Mother's Baby
von Johanna Moder
Österreich / Schweiz / Deutschland 2025

O último azul (The Blue Trail)
von Gabriel Mascaro
Brasilien / Mexiko / Chile / Niederlande 2025

Reflet dans un diamant mort (Reflection in a Dead Diamond)
von Hélène Cattet, Bruno Forzani
Belgien / Luxembourg / Italien / Frankreich 2025

Sheng xi zhi di (Living the Land)
Von Huo Meng
Volksrepublik China 2025

Strichka chasu (Timestamp)
von Kateryna Gornostai
Ukraine / Luxembourg / Niederlande / Frankreich 2025
Dokumentarische Form

La Tour de Glace (The Ice Tower)
von Lucile Hadžihalilovi?
Frankreich / Deutschland 2025

Was Marielle weiß (What Marielle Knows)
von Frédéric Hambalek
Deutschland 2025

Xiang fei de nv hai (Girls on Wire)
von Vivian Qu
Volksrepublik China 2025

Yunan von Ameer Fakher Eldin Deutschland / Kanada / Italien / Palästina / Qatar / Jordanien / Saudi Arabien 2025

Die 75. Internationalen Filmfestspiele Berlin finden vom 13. bis 23. Februar 2025 statt. Weitere Informationen finden Sie auf berlinale.de.

Edda Bauer