Berlinale 2025

Das Richtige im falschen Film

Das Richtige im falschen Film

Foto: O último azul © Guillermo Garza / Desvia


Wer kennt es derzeit nicht, dieses seltsame Gefühl des im-falschen-Film-Seins? Ohne danach gefragt zu haben, bekam man bei der diesjährigen Berlinale eben dieses Gefühl mannigfach gespiegelt. Wer Verbündete in der Befremdlichkeit suchte, saß oft im richtigen Film – nicht nur, aber vor allem im Wettbewerb.

Ganz besonders Mütter (am Rande des Wahnsinns) konnten sich oft verstanden fühlen. Etwa in der deutsch-schweizerisch-österreichischen Koproduktion „Mother’s Baby“ der Regisseurin Johanna Moder. Eine frisch gebackene Mutter (Marie Leuenberger) fremdelt mit ihrem allzu stillen Säugling, mehr aber noch mit den eindringlichen Beschwichtigungen ihrer nächsten Umgebung. Überhaupt scheint man in Österreich gerade an kindlichen Traumata zu arbeiten. „Welcome Home Baby“ des Österreichers Andreas Prochaska eröffnete in diesem Jahr die Sektion Panorama. Darin kehrt Judith (Julia Franz Richter) in das Dorf ihrer Kindheit zurück, wo sie allzu freundlich empfangen wird. Auf den ersten Blick eine Hommage an „Rosemary’s Baby“, entpuppt sich Prochaskas ziemlich blutiges Psychodrama als Metapher auf Traumabewältigung über Generationen hinweg.

Aber zurück zu den Traumata im Wettbewerb, wo in einigen Filmen die schwerwiegenden Auswirkungen der Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern thematisiert wurden. Etwa in „Hot Milk“, dem Regiedebüt der britischen Drehbuchautorin Rebecca Lenkiewicz („Ida“, 2014), in dem die Probleme zwischen Mutter (Fiona Shaw) und Tochter (Emma Mackey) jedoch allzu behauptet bleiben. Ganz anders als in „If I Had Legs I´d Kick You“ der US-amerikanischen Regisseurin Mary Bronstein, mit Rose Byrne als Mutter einer chronisch kranken Tochter, der buchstäblich die Decke auf den Kopf fällt. Allein schon das entstandene, schwarze Loch entwickelt eine erstaunlich nachvollziehbare Sogwirkung.

Die klassische Familienzusammenstellung ist bei der 75. Ausgabe der Berlinale nun endgültig ein Fall für eine therapeutische Familienaufstellung geworden. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Der deutsche Autor und Regisseur Frédéric Hambalek nahm’s in seinem Familiendrama jedenfalls mit Humor: Marielle (Laeni Geiseler) kann plötzlich sehen, was ihre Mutter (Julia Jentsch) und ihr Vater (Felix Kramer) denken. Zu Recht fragen sich die Eltern „Was Marielle weiß“ und nehmen das zum Anlass, alte Traditionen, neue Vorlieben und nackte Tatsachen auf den Tisch zu legen. Der wohl hoffnungsvollste Film des Wettbewerbs beginnt mit einer staatlich verordneten Utopie von orwellschen Ausmaßen. In „O último azul“ („The Blue Trail“) gilt die umfassende Pflege von Rentnern als oberste Staatspflicht. De facto aber bedeutet sie die völlige Entmündigung und Umsiedlung aller alten Menschen in eine Kolonie tief im brasilianischen Regenwald. Die 77-jährige Tereza (Denise Weinberg) aber denkt nicht dran, sich bevormunden zu lassen, weder von der Tochter, noch vom Staat und nimmt Reißaus. Koautor und Regisseur Gabriel Mascaro hat daraus im wahrsten Sinne des Wortes einen Roadtrip zu Wasser, zu Land und per Psychodroge gemacht, der für nichts weniger als das Recht auf Selbstbestimmung, Altern und Wahlverwandtschaften plädiert.

Und dann hatte dieser Wettbewerb auch noch einen Joker im Ärmel, falls man sich in der Jury auf keinen der stark weiblich geprägten, emotionalen Ausnahmezustände auf der Leinwand einigen können würde: „Blue Moon“ von Richard Linklater (Silberne Regiebären für „Before Sunrise“ 1995 und „Boyhood“ 2014). Nicht dass Protagonist Lorenz Hart nicht auch mit der Welt hadern würde, nachdem sein abtrünnig gewordener Kreativ-Partner Oscar Hammerstein für sein Musical „Oklahoma!“ frenetisch gefeiert wird. Aber Hart tut es eben auf so poetisch bissige, theatralisch angemessene, whiskygetränkte Macho- und doch sexuell nach allen Seiten offene Art, wie es dem Texter von Hits wie „My Funny Valentine“, „The Lady Is a Tramp“ und eben „Blue Moon“ gebührt. Außerdem ist es Ethan Hawkes vermutlich beste Darstellung jemals. Simply unmissable!

Edda Bauer