Berlinale 2019

Das Männliche ist privat

„Er hat mein Leben in der Hand. Und das seiner Schwester. Es hat damit zu tun, dass er ein Mann ist. Oder wird.“ Astrid, Mutter des 13jährigen Phillip in „ich war zuhause, aber…“

Ausgerechnet in Angela Schanelecs „ich war zuhause, aber…“, dem sechsten Film einer Regisseurin im Wettbewerb, findet sich eine Art Erklärung dafür, warum sich manche Filmmänner aufführen, wie sie sich aufführen. Und warum ihnen diverse Filmfrauen verfallen. Zum Beispiel Fiete Honka in „Der goldene Handschuh“, der zwar aussieht aus wie ein Verkehrsunfall bei 2,8 Promille, aber Frauen kriegt er reihenweise abgeschleppt. Eine bleibt sogar länger und überlebt. Fatih Akin liefert für die weibliche Zutraulichkeit zu keinem Zeitpunkt bessere Gründe als den oben genannten von Schanelec. Oder Bert Brecht, der schon in frühen Jahren alles zur Mutter machte, was nicht bei 3 in Beichtstuhl oder Souffleurkasten verschwunden war. In Heinrich Breloers TV-Doku-Drama „Brecht“ schwärmen die einstigen Geliebten in Interviews vom Charme des Genies. Zu sehen ist davon, trotz Tom Schilling (jung) und Burghart Klaußner (alt), nichts. Mancher Regisseur glaubt also immer noch, dass es reicht ein Mann zu sein, dann wird Frau schon von alleine schwach. Margot Werner kann davon ein Lied singen.

Zur Rechtfertigung von Mutter Astrid in „ich war zuhause, aber…“ muss man wissen: Sohn Phillip war eine Woche lang spurlos verschwunden. Von den Sorgen, die man sich in dieser Zeit macht und vom Schweigen, das herrscht, seit er wieder da ist, kann man sich schon manipuliert und fremdbestimmt fühlen. Wenn es einen kausalen Zusammenhang zwischen den Szenen gibt, in denen Astrid auf sehr artikulierte und beherrschte Weise die Nerven verliert, dann ist das die Sorge einer alleinerziehenden Mutter.

Mit ihrem Platz innerhalb von Familien hadern übrigens auch die drei Schauspieler, deren Regie-, beziehungsweise Spielfilmdebüts auf der Berlinale zu sehen sind: Jonah Hill – seit „The Wolf of Wall Street“ aus Hollywood nicht mehr wegzudenken – erzählt in „Mid90s“ (Kinostart: 7.3.) von den schüchternen Versuchen des 13jährigen Stevie (Sunny Suljic) in die lokale Skater-Gang aufgenommen zu werden. Nach und nach wird für ihn zur Ersatzfamilie, eine nicht ganz ungefährliche zudem. Chiwetel Ejiofor – 2013 Titelheld in „12 Years a Slave“ – verfilmte in „The Boy Who Harnessed the Wind“ die wahre Geschichte des malawischen Schülers William Kamkwamba (Maxwell Simba), der im Dürrejahr 2002 für den Acker seiner Familie aus Fahrradteilen und einer Schrottpumpe eine Windmühle zur Bewässerung baute. Sich selbst inszenierte Ejiofor dabei als Williams ausgesprochen Technik-skeptischer und traditionsverbundener Vater Trywell. Casey Affleck, der sein Regiedebüt „I’m Still Here“ (2010) mit Schwager Joaquin Phoenix in der Hauptrolle als „mindesten halbdokumentarisch und gänzlich improvisiert“ beschreibt, ist bei seinem zweiten Film weitaus professioneller vorgegangen: richtig mit Drehbuch und angemessenem Verhalten gegenüber allen Crewmitgliedern. Aus Gesprächen mit den eigenen Söhnen entwickelte er eine post-apokalyptische Story, in der ein Virus fast gänzlich den weiblichen Teil der Erdbevölkerung ausgelöscht hat. Für den Vater (Casey Affleck) der heranwachsenden Rag (Anna Pniowsky) wird es immer schwieriger, die Tochter als Sohn auszugeben und gleichzeitig auf ein selbstbestimmtes Leben vorzubereiten.

Nur auf einem Filmfestival lässt sich so klar erkennen, woher die männlich Perspektive des Filmschaffens kommt, und wohin sie gehen kann, wenn Mann nur ein bisschen reflektiert. Es muss ja nicht gleich die phantastisch skurrile Komödie „Öndög“ sein, in Szene gesetzt vom chinesischen Goldenen-Bären-Gewinner Wang Quan’an (2006 „Tuyas Hochzeit“). In seinem neuen Film dreht er den Spieß ganz einfach um, stellt die gut und gern alleinlebende Schafhirtin (Dulamjav Enkhtaivan) in den Fokus der unendlichen Weite der mongolischen Steppe und gönnt ihr ab und zu männlichen Besuch - Saufen und Sex inbegriffen. Bis eines Tages der Nachbar ganz romantisch mit einem versteinerten Dinosaurier-Ei, dem Titel gebenden „Öndög“, anrückt.

Edda Bauer