Literaturfestival in Berlin

African Book Festival 2022

African Book Festival 2022

„Afrikanische Literatur ist schon immer unglaublich gewesen.“

Seit 2018 versammelt das African Book Festival jährlich die wichtigsten Stimmen der afrikanischen Literaturszene in Berlin. Mit dem südafrikanischen Kurator Lidudumalingani sprachen wir über die Herausforderungen der Literaturszene in seiner Heimat sowie über seine Herangehensweise bei der Besetzung des diesjährigen Festival-Programms.

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Lidudumalingani, haben Sie einen Lieblingsplatz in Ihrer Heimatstadt Johannesburg?
Ich bin immer glücklich, wenn ich mit dem Auto oder dem Fahrrad durch die Stadt fahre. In einem Moment fahre ich eine lange, stille Straße entlang, die von Bäumen gesäumt ist, im nächsten quäle ich mich durch dichten Verkehr. Das ist absolut besonders an Johannesburg: Die Stadt hat viele widersprüchliche Identitäten. Wenn ich mich auf Lieblingsorte festlegen muss, dann sind das „Home of the Bean“ im Stadtteil Maboneng für Kaffee, „Xai Xai“ in Melville für Drinks und „Book Ibhoni“ in Soweto für eine Fahrradtour und zum Brettspiele-Spielen.

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Was sind aktuell die größten Herausforderungen für die Literaturszene Südafrikas?
Eine alte, aber nach wie vor aktuelle Herausforderung ist die finanzielle: die Vergütung der Arbeit von Autorinnen und Autoren, finanzielle Unterstützung, Institutionen mit ausreichenden Mitteln, um die Literaturszene zu fördern. Nichtsdestotrotz sind die Geschichten, die unter diesen schwierigen Umständen produziert werden, bemerkenswert. Keines der Probleme hat die Vorstellungskraft und Kreativität südafrikanischer Autoren beeinträchtigt. Nozizwe Cynthia Jeles Debütroman „Happiness is a Four-Letter Word“ hat zum Beispiel zahlreiche Preise gewonnen, die Poetin Rešoketšwe Manenzhe, ebenfalls mehrfache Preisträgerin, wird beim Festival in Berlin ihren Debütroman „Scatterlings“ vorstellen, der beweist, dass es möglich ist, über ein Thema autoritativ zu schreiben, ohne sich auf die eigene gelebte, physische Existenz zu beschränken.

Damit sprechen Sie das Programm des African Book Festival an. Wie wollen Sie als Kurator das diesjährige Motto „Yesterday.Today.Tomorrow“ mit Inhalt füllen?
Schreiben ist ein einsames Unterfangen, aber kein Autor sitzt allein am Schreibtisch und schreibt. Vielmehr ist er in diesem Moment ganz viele. Er verkörpert alles, was er ist und alles, was er gelesen und gesehen hat. Ich kann über afrikanische Literatur nur so und nicht anders nachdenken. Ich wehre mich daher gegen den Gedanken, afrikanische Literatur feiere irgendeine Art von Wiederauferstehung. Afrikanische Literatur ist schon immer unglaublich gewesen, sie ist es heute, und sie wird es morgen sein. Das drückt das Motto aus. Zugleich steht es für die Vielfalt der Themen afrikanischer Literatur: Liebe, Verlust, Familie, Migration, Rassismus und viele mehr. Und es gilt für die zahlreichen Genres, die wir präsentieren werden, von Lyrik über historische Romane und Essays bis zu Reiseliteratur. Headlinerin des Festivals ist die großartige Verlegerlegende Margaret Busby, die nicht nur eine einflussreiche Figur rund um den Globus ist, sondern in den 1960er Jahren mit dem von ihr mitgegründeten Verlag Allison & Busby auch als erste Schwarze Frau Verlegerin wurde. Ihre Anthologie „New Daughters of Africa“ ist nicht nur ein Buch, sondern die kompletteste Sammlung afrikanischer und afrikanischstämmiger Autorinnen und Lyrikerinnen sowie ein großartiges Porträt der Breite, Tiefe und Vielfalt afrikanischer Frauenstimmen. Busby wird flankiert von jungen afrikanischen Autorinnen: Dr Athambile Masola, Lerato Mogoathle, Maneo Mohale. Aber auch die männlichen Autoren können sich sehen lassen: Bongani Kona, Emmanuel Iduma, Fred Khumalo, Niq Mhlongo, JJ Bola and A. Igoni Barrett.

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Wie haben Sie die Autorinnen und Autoren für das Festival ausgewählt?
Ich hatte zwei wichtige Kriterien: einerseits das Nachdenken über Generation in der Literatur, andererseits die Beziehung zwischen Texten und Kontexten. Und natürlich sollten die Künstler in ihrer Kategorie jeweils die besten sein. Meine Herausforderung bestand darin, nicht nur Autoren auszusuchen, sondern diese miteinander ins Gespräch zu bringen. Deshalb trifft Margaret Busby auf Dr. Athambile Masola – zwei brillante Frauen, die über andere Frauen schreiben –, Resoketswe Manenzhe spricht mit Bongani Kona – zwei junge Stimmen und absolute Pioniere afrikanischer Literatur. Mit dem Festival möchten wir Literatur zum unvergesslichen Erlebnis machen. Daher wird es Lesungen, Performances und Hintergrundgespräche geben. Und weil man Geschichten in so vielen unterschiedlichen Formen erzählen kann, freue ich mich besonders auf den Johannesburger Musiker Bongeziwe Mabandla, der ein großartiger Performer ist und gitarrenlastige Folkmusik macht und auf meiner Muttersprache isiXhosa singt.

Worauf freuen Sie sich bei Ihrem Aufenthalt in Berlin am meisten?
Auf die Begegnungen mit all den großartigen Autoren. Genauso neugierig bin ich allerdings darauf, wie sich die Besucher mit den Themen des Festivals auseinandersetzen werden, die tief in der südafrikanischen Geschichte, Kultur und Literatur verwurzelt sind. So spielen zum Beispiel Kurzgeschichten eine wichtige Rolle in schwarzer südafrikanischer Literatur. Diese sind nicht nur sehr politisch, sondern auch leicht zugänglich und daher sehr populär unter jungen Lesern – anders als das in Deutschland der Fall ist, soweit ich weiß. Ich will mir aber natürlich auch die Stadt Berlin ansehen, die in Afrika vor allem als der Ort des Kolonialismus und Imperialismus bekannt ist. Lauri Kubuitsile schreibt zum Beispiel in ihrem aktuellen Roman „Zerstreuung“ über den von Deutschen verübten Genozid in Namibia – ein heißes Eisen und vielschichtiges Thema, und ich bin gespannt, wie die deutschen Festivalbesucher damit umgehen.

Was ist Ihre Hoffnung für die langfristige Wirkung des Festivals?
Ich hoffe auf ein breiteres Bewusstsein für sowie auf mehr Käufe, Übersetzungen und Veröffentlichungen von afrikanischer Literatur. Und auf ein Umdenken: weg von den alten Vorurteilen, afrikanische Literatur drehe sich nur um Krieg und Armut und ein Roman könne „zu afrikanisch“ sein, um übersetzt oder im Ausland veröffentlicht zu werden – das ist exakt das, was die berühmte ugandische Autorin Jennifer Nansubuga Makumbi zu hören bekam, als sie einen Verlag für ihren bahnbrechenden Roman „Kintu“ suchte. Ich hoffe auf offene Arme für die wunderbare Vielfalt afrikanischer Literatur und ihren Beitrag zur weltweiten Literaturszene. Ich hoffe, Einblicke vermitteln zu können in neue Literaturmagazine, futuristisches Schreiben und Lyrik in indigenen Sprachen – damit wir alle Literatur als das sehen können, was sie ist: Eine Tür in eine andere Welt.


Lidudumalingani_Porträt

African Book Festival 2022
26.-28.08, Berlin
Seit 2018 versammelt das African Book Festival regelmäßig die wichtigsten, einflussreichsten und preisgekrönten Schriftsteller und Künstler des afrikanischen Kontinents in Berlin. Auf das Publikum wartet vom 26. bis 28. August ein buntes Programm aus Lesungen, Diskussionen, Interviews, Konzerten und Bühnen-Performances mit renommierten Persönlichkeiten wie Margaret Busby oder Fred Khumalo sowie zahlreichen jungen Stimmen. Kurator des diesjährigen Programms ist Lidudumalingani, ein Schriftsteller, Filmemacher und Fotograf aus Johannesburg. Im Jahr 2016 gewann er den Caine Prize für die Kurzgeschichte „Memory we lost“. Kurz darauf erhielt er das Miles-Morlande-Stipendium. Er schreibt regelmäßig für die Johannesburg Review of Books. Seine Kurzgeschichten und Essays wurden in verschiedenen Anthologien veröffentlicht, seine Fotografien in diversen Galerien ausgestellt. Sein Schreiben und seine Erzählweise sind interdisziplinär.


Alle Infos und Tickets unter www.africanbookfestival.de.


Fotos: Lidudumalingani // Donald Molosi // InterKontinental