Musik

19.04. | Album der Woche

Kettcar • Gute Laune ungerecht verteilt

Grand Hotel van Cleef

19.04. | Album der Woche - Kettcar  • Gute Laune ungerecht verteilt

Foto: Andreas Hornoff


Hart rannehmen

Angesichts der aktuell aufgehitzten Gesellschaftslage bleibt die deutsche Indie-Szene erstaunlich still. Kettcar ist eine der besonderen Ausnahmen.

Es heißt immer wieder, dass politische Inhalte in Unterhaltungsmusik nicht gut sind fürs Geschäft. Wer sich zu eindeutig positioniert, grenzt zu viele potenzielle Hörer aus. Wer laut ist, erhält Hass und Ablehnung. Ausnahmen wie etwa Danger Dans »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« bestätigen eher die Regel, als dass sie ein Fingerzeig für eine zunehmende Politisierung von gitarrengetriebenem Indiepop wären. Die Hamburger Band Kettcar ficht das nicht an: Seit nunmehr 22 Jahren legt das Quintett Finger auf Wunden der Gesell- schaft und des Individuums. Mit einer stets aufs lyrisch Schönste ausformulierten, bedin- gungslos linksliberalen Haltung haben sich Kettcar sukzessive einen Fankreis erspielt, der es ihnen ermöglicht, auf der kommenden Tour- nee erstmals durch die großen Mehrzweckhal- len der Republik zu touren. Dass sie es dorthin geschafft haben, verdanken sie niemandem außer sich selbst. Denn Kettcar sind komplett autark. Schon zu ihrem Debütalbum »Du und wieviel von deinen Freunden« gründeten sie zusammen mit dem ehemaligen Tomte- Musiker Thees Uhlmann ihr eigenes Label Grand Hotel van Cleef, das mittlerweile zu den erfolgreichsten Indie-Labels des Landes zählt. Warum? Weil schon dieses erste Album so politisch war, dass sich keine Plattenfirma fand, die es hätte veröffentlichen wollen. Also muss man es eben selber machen. Inzwischen ist das ein reines Glück. Denn niemand kann sie auf- oder abhalten von dem, was sie bewegt und berührt. Nun sind sie mit »Gute Laune ungerecht verteilt« bei ihrem sechsten Longplayer ange- kommen. Bis hierhin wurden bereits zahllose gesellschaftspolitische Themen durchdekliniert und in ansprechende Songs verpackt. »Sommer 89«, der Hit ihres letzten Albums, ist da nur eines von vielen Beispielen. Die größte Sorge von Sänger und Gitarrist Marcus Wiebusch vor dieser Platte war deshalb, »dass ich hoffe, dass wir unseren Zenit noch nicht überschritten haben. Wir haben uns für diese Platte deshalb so hart rangenommen, wie es nur geht, um das bestmögliche Album zu machen, das in uns steckt.« Sechs Jahre haben sie dafür gebraucht. Hart rangenommen werden auf dieser Platte auch wieder die Themen, bei denen der Band der Helm brennt. Darunter generelle Phänomene wie Alltagsrassismus, Cancel Culture, die zersetzende Kraft von grassierendem Egoismus oder, wie es direkt im Titel heißt, »Ein- kaufen in Zeiten des Krieges«. Dazwischen: Persönliches, Warmes, ja, sogar ein Liebeslied. Kettcar machen eben, was sie wollen, und sind unschlagbar gut darin.


Kettcar

Kettcar
Gute Laune ungerecht verteilt

Grand Hotel van Cleef, 05. April

Kaum ein deutscher Künstler versteht es dermaßen gut, immer wieder eine Dualität aus mutigen, kraftvollen Inhalten und leichtfüßig unterhaltender, spannend arrangierter Musik zu erzeugen. Kettcars sechste Platte ist dabei ihr bisheriges Meisterstück: Noch nie waren sie partiell so laut und wütend und dann wieder so leise und zart. Noch nie war jeder einzelne Song dermaßen ausgefuchst zu Ende gedacht. Und nur selten wurde Haltung und Überzeugung derart verpackt in Melodien, die einen nicht mehr loslassen.

Sascha Krüger