Literatur
07.10. | Buch der Woche | Interview
Moritz Riesewieck & Hans Block
Die digitale SeeleMoritz Riesewieck & Hans Block
Die digitale Seele: Unsterblich werden im Zeitalter Künstlicher Intelligenz
Goldmann • 592 Seiten
Die Renaissance der Seele
Moritz Riesewieck und Hans Block kommen vom Theater und Film, man kennt sie vor allem als Drehbuchautoren und Regisseure. »Die digitale Seele« ist ihr erstes gemeinsames Sachbuch. Leidenschaftlich erzählen die beiden darin von der, wie sie sagen, größten Geschäftsidee des 21. Jahrhunderts: der digitalen Unsterblichkeit.
Herr Riesewieck, Herr Block, möchten Sie
ewig leben?
Moritz Riesewieck: Ich komme aus einer
katholischen Familie und war bis zu meiner Pubertät
überzeugt, dass die Verstorbenen weiterleben.
Diese Gewissheit sorgte dafür, dass ich den
Tod als solchen gar nicht zu akzeptieren brauchte,
weil man ja vermeintlich nur von einer Lebensform
in eine andere übertritt. Seit ich nicht mehr
an das ewige Leben im Himmel glaube, gibt es eine
Leerstelle bei mir. Ich vermute, das geht vielen
Menschen so, die aber gleichzeitig nicht zur Religion
zurückwollen, weil sie die Vorstellungen der
Kirche nicht teilen. Diese Lücke versuchen Tech-
Unternehmen mit der weltlichen Heilserzählung
von der digitalen Unsterblichkeit zu schließen.
Hans Block: Ich war immer sehr skeptisch gegenüber
der Idee der Unsterblichkeit. Während der
Recherche zum Buch habe ich allerdings bemerkt,
dass man bei der Auseinandersetzung mit der Unsterblichkeit auch das Sterben lernen kann, also
lernen kann, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen.
Wie können Bots und Avatare konkret beim
»Sterben-Lernen« helfen?
HB: Wenn wir über unsere Erinnerungskultur in
Mitteleuropa nachdenken, fällt auf, dass wir außer
bei sporadischen Besuchen auf dem Friedhof kaum
Kontakt zu den Verstorbenen pflegen. Digitale
Klone halten das Wesen von Verstorbenen lebendig.
Indem wir uns mit ihnen auseinandersetzen,
entdecken Menschen aber auch, wo ihre persönliche
Erinnerung an einen geliebten Menschen von
der algorithmischen abweicht. Wenn Menschen
vor dem Tod ihre eigenen Wiedergänger*innen in
Auftrag geben und dazu ihre Daten an die entsprechenden
Unternehmen übermitteln, lassen sie ihr
Leben dadurch noch einmal Revue passieren.
Auch das kann helfen, aktiv Abschied zu nehmen.
Wenn historische Persönlichkeiten virtuell wieder erweckt werden, kann das die Erinnerungskultur
stärken.
Wie das?
HB: Wir haben mit einem Unternehmen
gesprochen, das Holocaust-Opfer
digital rekonstruiert. Wenn Schüler im
Geschichtsunterricht nicht allein aus
trockenen Büchern lernen müssen,
sondern ihnen Überlebende des Dritten
Reiches als virtuelle Hologramme
»gegenübertreten«, mit denen sie quasi-
persönlich ins Zwiegespräch treten
können, wird Geschichte lebendig.
Ließe sich das auch auf historische
Figuren ausweiten? Ein Gespräch mit
Albert Einstein oder Rosa Luxemburg
wäre sicher interessant.
MR: Die Avatare greifen immer auf digitale
Daten zurück. Wenn es Film- und
Tonaufnahmen der historischen
Persönlichkeiten gibt, ist das denkbar.
Das könnte sehr spannend sein. Es
kann einem aber auch angst und bange
werden, wenn man sich etwa vorstellt,
dass der amtierende US-Präsident einen
digitalen Wiedergänger bekommt und
uns über seinen Tod hinaus mit seinem
Blödsinn antwittert. Es könnte so weit
gehen, dass seine Anhänger gar nicht
glauben wollen, dass er gestorben ist
und einem Trump-Avatar nachlaufen.
Der Philosoph Richard David Precht
schreibt in seinem Buch über Künstliche
Intelligenz, dass man sich keine
großen Sorgen machen müsse, da
die KI menschliche Subjektivität
und Emotionen ohnehin nicht abbilden
könne.
MR: Es gibt einige durchaus renommierte
Wissenschaftler, die behaupten,
Künstliche Intelligenz werde sich irgendwann
verselbstständigen. Das weisen
wir zurück, weil es keine haltbaren
Hinweise darauf gibt. Aus unserer Sicht
geht es aber auch gar nicht darum, ob
KI eines Tages wie ein Mensch fühlen
wird, sondern darum, ob wir Menschen
das Gefühl bekommen, es mit
unseresgleichen zu tun zu haben, wenn
wir mit einer Maschine interagieren.
Die eigentliche Frage ist deshalb: Kann
uns ein digitaler Klon eines Menschen
davon überzeugen, dass er etwas fühlt?
Kann er Emotionen oder Empathie zeigen,
sodass wir darin menschliche Regungen
zu erkennen glauben? Das sogenannte
affective computing ist eine
der größten Wachstumsbranchen im
Bereich der KI. Bei unserer Recherche
sind wir zum Beispiel auf ein neuseeländisches
Unternehmen gestoßen, das
ein digitales Wesen mit dem Namen
Baby X entwickelt hat. Das ist ein virtueller
Säugling, der dem Nachwuchs
des Programmierers nachempfunden
ist und Emotionen imitiert, Empathie
zeigt und Gefühle bei Erwachsenen
hervorruft. Wir Menschen laufen ja mit
allerlei kognitiven Verzerrungen
durchs Leben. Wir projizieren unsere
Sehnsüchte in niedliche Tierbabys, die
wir uns in sozialen Netzwerken anschauen.
Genauso können wir Dinge
und Vorstellungen in virtuelle Wesen
hineininterpretieren, wenn diese die
richtigen Signale senden.
Hat sich Ihr Begriff der Seele beim
Schreiben des Buches verändert?
HB: Absolut. Ich bin in Ostberlin groß
geworden und Atheist. Mir ist die Seele
daher seit jeher schleierhaft. Meine
Mutter allerdings hat das Übernatürliche
in unsere Familie gebracht, indem
sie hin und wieder an Bildern von Verstorbenen
stand und mit ihnen geredet
hat. Die Neurowissenschaften haben
den Begriff der Seele ja schon vor langer
Zeit über Bord geworfen und ihn
durch den des Bewusstseins ersetzt,
weil man Bewusstseinszustände viel
leichter messen und nachweisen kann.
Aber ist das dasselbe? Für viele Menschen
ist es eine Gewissheit, dass sie
und ihre Liebsten mehr sind als das
Zusammenspiel von Hormonen und
das Funken von Synapsen. Die Seele ist
gesellschaftlich nicht totzukriegen.
Und sie erfährt gerade in ihrer digitalen
Version eine Renaissance.
MR: Dass die Idee eines Wesenskerns
noch einmal so stark wird, hat mit der
Erzählung des Kapitalismus zu tun,
nach der wir uns seit Jahrzehnten
ausrichten: Ein gutes Leben ist ein
Leben, das uns entspricht. Für ein gelungenes
Leben gilt es also herauszufinden,
wer wir wirklich sind.
Algorithmen bergen das Versprechen,
genau dieses innere Ich aus unzähligen
persönlichen Daten analysieren
zu können. Und wenn es einmal ausgelesen
ist, warum soll es sich dann
nicht auch reproduzieren lassen? Dieser
Mythos um die digitale Seele wird
in den kommenden Jahren spannend.
Fazit: Mit dem plötzlichen Ende des irdischen Daseins tut sich die Menschheit seit Anbeginn schwer. In Zeiten, in denen immer weniger Menschen in Westeuropa an das ewige Leben bei Gott glauben, hat der Tod noch einmal an Schrecken zugelegt. Geht es nach Tech-Unternehmen, sollen ihre digitalen Heilsversprechen die Lücke füllen. Riesewieck und Block gehen in ihrem Buch posthumanen Lebensformen auf den Grund, dem Dadbot etwa, der Zwiegespräche mit dem Vater simulieren kann oder Replikanten, die Menschen als virtuelle Wiedergänger*innen verewigen. Kritisch, aber neugierig und unvoreingenommen beleuchten sie eine bisher kaum bekannte digitale Welt zwischen Leben und Tod.
Foto: Peter von Felbert
Miguel Peromingo