Rüdiger Warnstädt
„Ich wollte nicht, dass mir die Angeklagten im Traum erscheinen.“
Zur Person
Rüdiger Warnstädt wurde am 29.01.1938 in Berlin geboren. Mit fünf Jahren flüchtete er mit seiner Mutter nach Strzygy (Polen). Die Schulzeit verbrachte er in Mecklenburg, um zu studieren, ging er in den Westen, nach Hamburg und Berlin. 1968 trat Warnstädt in den Justizdienst ein: Als Staatsanwalt für allgemeine Strafsachen, für Falschmünz- und Glücksspieldelikte sowie Steuerstrafsachen. Er war im Bonner Justizministerium, Leiter der Justizpressestelle Berlin und amtierte über 25 Jahre als Straf- und Schöffenrichter im Berliner Kriminalgericht Moabit. Seine unkonventionellen Verhandlungen fanden oft vor großem Publikum statt. Heute lebt er als Pensionär und Schriftsteller in der Hauptstadt.
26.01.2005, Berlin. Rüdiger Warnstädt, seit über 25 Jahren Strafrichter in Berlin-Moabit, erklimmt die Stufen zum Cafe Buchwald in Tiergarten. Es duftet nach Kaffee und Baumkuchen. Die Wände sind mit Blümchentapete verziert, die Decken rosa gestrichen. Leise bedienen drei Frauen in fliederfarbenen Küchenschürzen.
Herr Warnstädt, Sie waren ein gutes Vierteljahrhundert Strafrichter in Berlin-Moabit. War es schwer, die Angeklagten, die in Ihren Gerichtssaal kamen, als Menschen zu akzeptieren, wenn Sie daran dachten, was die angestellt haben?
Rüdiger Warnstädt: Ja. Aber ich habe auch nicht immer akzeptiert, was sie getan haben. Ich habe sie erst einmal wahrgenommen und mir gesagt: Sie sind Menschen. Sie sind vielleicht unangenehme Menschen, das wird sich herausstellen. Über jeden Angeklagten, der da vorgeführt wird, sagt der Staatsanwalt etwas Unangenehmes. Der Richter ist dazu da, um festzustellen, ob das stimmt. Manchmal ging die Tür auf im Gerichtssaal und es kamen Leute herein, die mir schon vom Äußeren her unglaublich unsympathisch waren. Bei den besonders Unsympathischen habe ich mich eines Kunstgriffs bedient: Ich habe mir vorgestellt, wie diese unangenehme Frau als vierjähriges Mädchen oder dieser brutale Kerl als vierjähriger Junge ausgesehen haben könnte. Ich habe mich gefragt, warum derjenige wohl so unangenehm ist, dass er mir schon vom Äußerlichen her einen Widerwillen einjagt.