Literatur

01.05. | Buch der Woche

Hark Bohm • Amrum

Hörbuch Hamburg

01.05. | Buch der Woche - Hark Bohm • Amrum

Im Leuchtfeuer

Wie lässt sich das Unaussprechliche erfahrbar machen? Vor dieser Frage stand Torben Kessler, als er das Hörbuch zu »Amrum« eingelesen hat – eine Kindheitserzählung im Schatten des Zweiten Weltkriegs.

Herr Kessler, was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie die Geschichte von »Amrum« zum ersten Mal gelesen haben?
Ein berührendes Zeitdokument und eine irrsinnige Abenteuergeschichte! Leicht erzählt, wie ein Möwenflug über Amrum, mit dem das Buch auch beginnt. Ich habe gelacht, war traurig, manchmal beides zugleich. Ich musste meine Meinung des Öfteren hinterfragen, durfte aber auch Unbekanntes entdecken.

In »Amrum« geht es um den zehnjährigen Nanning, der sich um seine schwangere Mutter und seine Geschwister kümmern muss – im Schatten der letzten Weltkriegsmonate. Wie nähern Sie sich dieser komplexen Zeit und den Figuren als Sprecher an?
Durch häufiges und genaues lesen; einmal zum Kennlernen, einmal zum Vertiefen, dann nochmal zur Vorbereitung und letztlich bei der Aufnahme. Darüber hinaus konnte ich von den Erzählungen meiner Großmutter zehren, die in den Kriegsjahren in ähnlichen Strukturen aufgewachsen ist. Dadurch war der Zweite Weltkrieg für mich als Kind in zahlreichen Projekten zentral. Heute ist das wie ein Reservoir, das mal bewusst, mal unbewusst zum Tragen kommt. Bei der Aufnahme versuche ich aber, den Text durch mich hindurchlaufen zu lassen.

Sie arbeiten nicht nur als Hörbuchsprecher, sondern auch als Theater- und Filmschauspieler. Worin liegen für Sie die Besonderheiten aber auch Unterschiede, hinsichtlich der Arbeit am Medium Hörbuch? In meinem Beruf habe ich die Möglichkeit, etwas zu erfinden. Interessanterweise steckt darin das Wort »finden«. Indem ich also etwas erfinde, finde ich gleichzeitig etwas. Beim Theater und beim Film ist dieser Prozess ein kollektiver. Beim Lesen ist der Imaginationsspielraum größer, da ich mit dem Text und meinen Gedanken allein bin. Es gibt keinen Körper, keine Bühne oder einen Widerpart. Nur die Sprache lässt die Erfindung zwischen mir und den Zuhörenden entstehen. Das schafft Freiheit und Konzentration.

»Amrum« handelt von der tiefen Freundschaft zweier Jungen, die alle Hürden zu überwinden scheint und dadurch, wie ein Leuchtturm in dunklen Zeiten wirkt. Was zeichnet diese Freundschaft für Sie noch aus?
Beide sind neugierig aufs Leben und voller Liebe, halten Widersprüche aus. Dennoch sind sie verschieden, fast entgegengesetzt und können sich aber so sein lassen. Dem Wesensfremden zugewandt und großzügig zu begegnen, ist eine gute Grundlage für jegliches Miteinander. Etwas, was uns Menschen häufig schwerfällt.

Inwiefern haben Sie im Rahmen der Arbeit an diesem Hörbuch über den Begriff „Herkunft“ nachgedacht? Hat sich dadurch etwas an Ihrer Auffassung davon geändert?
Eine Insel als Herkunft ist extrem, da sie rings vom Meer umgeben und abgeschlossen ist. Es gibt Schiffe, die an- und ablegen, das Unbekannte ist immer weit fort und ist gleichzeitig als Möglichkeit präsent. Wie die Menschen, die einem nahe stehen, ist auch so ein Ort prägend. Im Roman kann man beobachten, wie unterschiedliche Lebensentwürfe und Charaktere entstehen – trotz dieser intensiven Prägung.

An welchem Fleck auf der Erde fühlen Sie sich zu Hause und was gibt Ihnen die Bindung zu diesem Ort?
Wenn ich komplett stillhalte, dann fühle ich mich im Leben zu Hause. Vielleicht sind wir selbst auch ein Ort, der im Idealfall von vielem geprägt und mit vielen verbunden ist. Diese Bindungen sind ein guter Halt.


HARK BOHM
Amrum

gelesen von Torben Kessler
Hörbuch Hamburg, 8 Std. 27 Min.

In »Amrum« nähert sich Hark Bohm mit Sensibilität der tiefen Freundschaft zweier Jungen an, die alle Gräben überwindet – und macht in eindrücklichen Sprachbildern die Entbehrungen jener Kindheitsjahre greifbar. Eine Zeit, die der Autor und Filmregisseur in den Wirren der letzten Weltkriegsmonate verlebt hat und mit biographischer Präzision offenlegt, während Hörbuchsprecher Torben Kessler den Figuren Nahbarkeit verleiht, indem er von den Erzählungen seiner eigenen Familiengeschichte zehrt.

Lisa Elsen